Grass, Guenter
Krieg.
Das
Leipziger Verlagsgebäude in der Königstraße 2 jedoch brannte nach einer
Bombardierung der Stadt am 4. Dezember dreiundvierzig völlig aus. Mit ihm
wurden die gesamten Buchbestände und Materialien vernichtet, zu denen
Korrekturbögen mit Eintragungen von Wilhelms und Jacobs Hand gehörten.
Zum
Glück wurden gerade noch rechtzeitig vor dem Brand die Lieferungen von Stehung
bis stitzig und von Strom bis Szische fertig. Und noch vorm Krieg, im Jahr
sechsunddreißig, war die dritte Abteilung des elften Bandes von U bis Uzvogel
in den Buchhandel gekommen. Der Herausgeber Karl Euling lobt in seinem kurzen
Vorwort die Zusammenarbeit der Berliner Abteilung der Akademie mit einer
Göttinger Zweigstelle; diese erstmals erwähnte Verbindung sollte nach dem
Krieg Zukunft haben, wovon zu erzählen sein wird.
Ferner
sagt Euling einführend: »Der vorliegende Band, in der Hauptsache ein Versuch,
die unerschöpflichen Zusammensetzungen mit un, unter, ur in ihren Grundzügen
zu erfassen, ist der erste von einheitlicher Abfassung der unter Leitung der
Preußischen Akademie fertig gewordenen Bände...«
Und
weil nach un und Unart, nach undeutsch, Unflat, Unglück, Unheil und Unhold noch
Unmensch und unser - wie unser Vater und Vaterunser - auf über sechshundert
doppelspaltigen Seiten der Untergang dem Stichwort unter zugeordnet ist, soll
er zu Wort kommen:
Was alles unterging,
nicht nur täglich die Sonne,
aus Spenglers Sicht das Abendland,
tatsächlich das Dritte Reich.
Erst
untertage ging mir ein Licht auf.
Unter
Trümmern begraben fand sich ...
Nach
drei Torpedotreffern unterhalb der Wasserlinie
tauchte
in Wirklichkeit wie im Film das U-Boot auf.
Als
aber der Untermensch geboren wurde,
klagte
die Dame ohne Unterleib,
die
unterm Kirmeszelt und in Schaubuden
für
Geld zu sehen war, auf Unterhalt für ihr Kind.
U-Musik
unterhält, weshalb unter Sangesbrüdern
das
Lied vom Unterüberoberammergau beliebt ist.
Wo
liegt der Unterschied
zwischen
Untertanen und sonstigen Untergebenen?
Gefälschte Unterschriften, geblümte Unterhosen
gibt es und Unterricht auf unterstem Niveau.
Als
aber das Unterste zu oberst gekehrt wurde
und
letzte Wahrheiten untermauert waren,
begann
es im Untergrund zu rumoren,
tat
sich die Oberfläche der Unterwelt auf.
Doch
als ich aus der U-Bahn stieg und ans Licht trat,
sah
alles wüst aus, weshalb beide Grimmbrüder,
kaum
war ich gleich ihnen im Tiergarten unterwegs,
ohne
Unterlaß Wörter ausschieden,
die
alle dem W unterstellt waren.
AM ZIEL
Wohin
auch, wie weit und auf was der Blick fiel: wüst lag der Tiergarten. Vor der
geschwärzten Reichstagsruine und dem von Narben gezeichneten Brandenburger Tor
bis hin zum Flakbunker, dem Betonklotz am Neuen See, dehnte sich Wüstenei, in
die Bomben- und Granateinschläge Trichter getrieben, Panzerketten Furchen
gewühlt, letzte Aufgebote Gräben gekerbt hatten. Geblieben waren restliche
Bäume, nachgelassenes Kriegsgerät, versumpfte Tümpel. Weder Enten noch
Haubentaucher ließen sich sehen, doch kreisten Krähen über dem hinterlassenen
Schlachtfeld. Ob vereinzelt oder im Pulk, ihr Geschrei blieb wie in einem
Stummfilm, der finale Zustände bebildert, tonlos, war aber dennoch nicht zu
überhören.
Worauf
rückgewendet mein Blick liegt: auf geborstenen oder schief stehenden
Denkmälern, auf Nymphen geköpft, der geschändeten Göttin, auf Brandenburgs
entthronten Kurfürsten. Nur noch die Stiefel des einst siegreichen Feldherrn
haften auf erhöhendem Sockel. Und wie geworfen in diese Wüstnis: Tiere der
Gattung Mensch, die, weil der Winter naht, entwurzelte Baumleichen zersägen,
aus Wurzelstrünken Späne hacken, Aste zu Bündeln schnüren und wegschleppen in
die zerbombten Stadtviertel Moabit, Tempelhof, bis in den Wedding, nach
Friedrichshain und Prenzlauer Berg.
Was
von der Wehrmacht und ihren Waffen geblieben war: Schrott. Was ab Wahn, wähnen,
dem Wahnwitz sonst noch dem Buchstaben W eigen ist: wüst, wüstliegend, verwüstet.
In Spees »Trutznachtigall« finden sich »wüsten öd«.
Nach
Luther ist des Menschen Leben »gleich wie eine wüsten und eine nacht«. Und in
den gesammelten Sagen der Brüder Grimm liegt »auf einer wüsten bettstatt eine
grosze schlänge«.
Was
sich bestätigt hat: »die wüste wächst«, und was nachgesetzt warnt: »weh dem,
der wüsten birgt!« Dem folgt ein Distelbeet Zitate, die allesamt aus Wüstensand
sprießen.
Deshalb
geht es im dreißigsten Band des mir greifbaren
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