Grass, Guenter
Glauben
Sie's mir; wenn sich davon etwas herumspricht (im In- oder Auslande) so
scheitere ich gewisz! Darum helfen Sie durch Schweigen Ihren Freunden und Ihrem
treu ergebenen Diener FWKP.«
Also
wurde auf die lange Bank geschoben, was sich Bettine kurzbeschlossen wünschte.
Kronprinzen haben sich zu bescheiden, solange der Vater als König
selbstherrlich befiehlt. Dennoch wollte ihr Briefverkehr kein Ende nehmen. Und
weil sie sich mit ihrem dreibändigen Buch, das wenig Überliefertes von Goethes
Hand mit viel von ihr Erfundenem als Briefwechsel zum Titel erhob, einen Namen
gemacht hatte, war sie nicht nur in der Berliner Salongesellschaft, sondern
weit über Preußens Grenzen hinweg in aller Munde: die bestaunte, aber auch ein
wenig berüchtigte Bettine. Immer in Bewegung. Ein Irrlicht und Energiebündel.
Nun,
da ihr neuestes Buch über ihre einstige Freundin, die unglückselige Günderode,
so gut wie druckfertig war und der Zensurbehörde keinen Anlaß für Verbot oder
kürzende Beschneidungen zu bieten vermochte, weshalb es bald in allen
Buchhandlungen auslag und viel später, zu meiner Zeit, eine andere
Schriftstellerin dazu bewegte, den Schmerz der Günderode zu bestätigen. Bettine
jedoch sah sich nun frei für neue Bemühungen zugunsten der Brüder, und sei es
auf Biegen und Brechen.
Weil
man sich in Berlin, aus Rücksicht auf den hannoverschen Hof, mit dem man
versippt war, ablehnend verhielt oder - was den Kronprinzen betraf - zögerte,
sollte nach ihrem Willen und auf den Vorschlag des französischen Historikers
Michelet die Berufung der Grimms an die Pariser Universität das deutsche
Vaterland beschämen. Dagegen verwahrte sich Jacob, den zurückliegende
Parisaufenthalte zu Napoleons Zeit und nach dessen Abgang immer noch
bedrückten. Er war zu deutschsinnig, um sich für Frankreich begeistern zu
können, so sehr man die Brüder dort hochschätzte, mehr noch, bewunderte. Zudem
hoffte Wilhelm auf dem Prozeßweg zu Geld zu kommen. Das stünde ihnen zu, meinte
er und war bereit, stellvertretend für die Göttinger Sieben in Hannover
Ansprüche einzuklagen. In Briefen, die nach Kassel gingen, gab er Bericht.
Ein
Grund mehr für Jacob, Bettines Tatkraft zu mäßigen: »wir können die nächsten
jähre, was unser persönliches durchkommen betrifft, sorgenfrei heranrücken
lassen; unser prozesz ist anhängig, gewinnen wir ihn, und musz uns der gehalt
grösztentheils ausgezahlt werden, so stehn wir über dem wasser, und dürfen
erwarten, was gott weiter verhängt, schriftstellerische arbeiten werden uns
noch einige mittel mehr an die hand geben, ich habe mich zu Leipzig in eine
weitaussehende Unternehmung eingelassen, es soll ein groszes deutsches
Wörterbuch begonnen und ausgearbeitet werden, nicht der alten spräche, sondern
der heutigen, lebendigen von Luther bis Göthe...«
Wenngleich
Wilhelm zögerte, es war so beschlossen. Ein einsamer Entschluß, den Jacob
vermutlich faßte, als er sich, wie oft an sonnigen Tagen, der ihn beengenden
Familie seines Bruders Ludwig Emil entzog. Wahrscheinlich bereitete ein
Spaziergang sein Ja zum Wörterbuch vor, das bald durch einen Brief der Verleger
gefestigt wird, schreibt er doch schon am 28. Januar 1838 an Wilhelm: »heute
gieng ich in die aue, und über die zugefrorne ganze Fulde; es ist immer schönes
wetter, in der Stadt aber steinkohlengestank...«
Was
ihn in enger Schreibstube bänglich gestimmt und als Sorge bedrückt haben
mochte, ist unter klarem Himmel und an einem frostigen Tag wie weggeblasen.
Wieder gelingt der Sprung in die Wörterfluten des Alphabets. Ihn belebt das Bad
in einer Sprache, die unbeständig an- und inlautende Buchstaben wechselt und
aus, wie er später schrieb, »urverwandten und erborgten« Wörtern besteht.
Sogleich bohrt die Frage, soll er die Vokale und deren Wohllaut ganz für sich
beanspruchen, etwa aufs I kommen und irr, irrend, die Irre, den Irrsinn,
Irrwitz, Irrweg, den Irrglauben lichten oder nochmal zum Buchstaben A zurück
und ihn mit Abendrot und Abendruh feiern, oder soll jetzt schon dem E nachgegangen
werden, zumal er auf der Eisesglätte des Flusses Fulda dahingleitet und vom Eis
und von eisig zum jüngst geborenen Wort Eisenbahn findet, das eigentlich nicht
ins Wörterbuch gehört, aber kürzlich in einem Brief des Verlegers Reimer aus
Leipzig gestanden hat, denn von dort aus soll eine nahezu fertige
Eisenbahnstrecke über noch zu bauende Brücken nach Dresden führen. Auch ist von
einem Mann namens Friedrich List
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