Grass, Guenter
rothschopf und brachte mir deinen gestrigen brief.
die Überschuhe hab ich erhalten, noch ein brief von Ferdinand, nebst einer
antwort, die du dem geld beilegen kannst, wenn einen noch etwas verdriessen
könnte so wäre es seine unbescheidene rücksichtslosigkeit...«
Wilhelm
wird antworten: »An Ferdinand will ich das Geld senden; so wird es immer mit
ihm bleiben; er gibt seine höffärtige Narrheit nicht auf u. Dortchen hat ihm
Kleider geschickt.« Doch dem faulen, wenngleich nicht unbegabten Nichtsnutz der
Familie war nicht zu helfen.
Als
aber Jacob nach ba und bä auf baar und dann ohne verdoppeltes a auf bar wie
barfuß und barhäuptig kam, könnte er, zumal ihm Goethe ein Zitat zuspielte,
»das scheint doch wirklich sonnenklar, ich geh mit zügen frei und bar«, weniger
an den fortlaufend Bargeld benötigenden Bruder Ferdinand, eher an Bettine von
Arnim gedacht haben, die noch während seiner Göttinger Zeit, nunmehr als Witwe,
ihren ersten Bestseller auf den Buchmarkt gebracht hatte. In »Goethes
Briefwechsel mit einem Kinde« steht, mehr frei erfunden als beweiskräftig
belegt, zu lesen, wie unschuldig sie auf des Bewunderten Schoß gesessen habe,
recht offenherzig, dabei sei des Berühmten Hand behutsam, aber doch spürbar
ihren kindlich sprießenden Brüsten nahe gewesen.
Diese
publizierte Episode erregte Anstoß. Ihr Bruder Clemens, der seit Jahren fromm
und fern von ihr, doch in Nähe zu einer besessenen Dorfheiligen lebte und erbauliche
Bücher unter wundergläubige Leute brachte, schrieb noch vor der
Veröffentlichung des ihm peinlichen Briefwechsels seiner allzu bedenkenlosen
Schwester, um deren Seelenheil er besorgt war. Er, der einst beredt Berge
versetzt und Blumen das Sprechen gelehrt hatte, bat nun um einen tilgenden
Strich.
Sogar
aus der Schar ihrer Kinder, die Achim von Arnim samt verschuldeten Gütern und
ungedruckten Manuskripten der fünfzigjährigen, doch ganz und gar nicht matronenhaften
Bettine hinterlassen hatte, gab sich einer der Söhne empört: es könne die
veröffentlichte Barbusigkeit der Mutter den Verlauf seiner Diplomatenkarriere
behindern.
Die
bigotten Beschwerden ihres Sohnes Siegmund bekümmerten Bettine kaum. Der
Philisterei die Stirn zu bieten, war ihr ein immergrünes, weil ständig
nachwachsendes Bedürfnis. Und als wenige Jahre später die Göttinger Sieben mit
Entlassung bestraft, Jacob mit zwei Leidensgenossen ins Exil getrieben wurde,
zögerte sie nicht, besuchsweise oder mit spontan aus der Feder geflossenen
Briefen zur Stelle zu sein. Mit begeisternden Bittgesuchen wollte sie sogleich
die Berufung der Brüder nach Berlin bewirken.
An
Wilhelm, dem sie seit Jugendjahren besonders zugetan war, schrieb sie, aber
auch an den eher spröden Jacob. Weil der jedoch die preußischen Bedenkenträger,
unter ihnen der Jurist Savigny und der Philologe Lachmann, zu kennen meinte,
zudem nicht wünschte, durch öffentliche Betriebsamkeit aufs Podest gestellt und
als Beispiel für standhaftes Beharren von Leuten begafft zu werden, deren
politische Radikalität ihm abscheulich war, antwortete er ihr: »wie sehr musz
uns Ihr unablässiger eifer rühren, mit dem Sie sich unserer sache annehmen;
auch wenn alles mislingen sollte wird uns ein solcher beistand unvergeszlich
bleiben, er flöszt uns mut ein und hoffnung. thun Sie aber, liebste freundin,
lieber zu wenig als zu viel, und lassen Sie allen entschlieszungen, die man
dort zu unseren gunsten fassen könnte, einen ganz ruhigen lauf...«
Aber
Bettine von Arnim, geborene Brentano, konnte niemand bremsen, mit ihrem
Schwager Savigny zu hadern, Lachmann zu mißtrauen und den preußischen
Kronprinzen und späteren König Friedrich Wilhelm den Vierten brieflich und
sogar mit der beigelegten Abschrift eines heftigen Briefes an Savigny zu
bedrängen, indem sie ihm die Brüder Grimm beschwörend ins erlauchte Blickfeld
rückte.
Darauf
bekam die Bittstellerin Antwort: »Die Blicke die Sie mir in Herz und Sinn der
beyden gegönnt haben, erwärmen mich wie der beste Trunk im Rhein-Gau und
steigern mein Verlangen, sie die unseren zu nennen, unsäglich...«
Dann
aber bittet der sich im Wartestand befindliche Thronfolger, den die in ihn
gesetzten Hoffnungen und damit verbundenen Wünsche nach Verbesserungen allzu
sehr beschweren, die »gnädigste Frau«, seinen Brief so zu bewahren, »dasz
Niemand davon erfahre; machen Sie Papilotten daraus für's Haar Ihrer holden
Töchter, die ich schön grüsze; oder noch besser: verbrennen Sie sie.
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