Grass, Guenter
dürfen.«
Damit
beendete er des Bruders heimlich begonnene Bemühungen, mit einem anderen Verleger
bessere Honorarbedingungen auszuhandeln. Sogar ein Umzug nach Leipzig wurde
erwogen, was dem Wunsch Reimers entsprochen hätte. Aber nach einem Kurzbesuch
in der ihm allzu betriebsamen Messestadt teilte Jacob mit, wie wenig er von
ihr angetan sei. Und Wilhelms Frau Dorothea, die ohnehin das ihr vertraute
Hessen bevorzugte, sperrte sich gleichfalls gegen den Wechsel.
Reimer
ließ brieflich nicht locker: »Sollte noch irgend etwas Sie bestimmen, jetzt
oder später Ihren Entschluß zu unsern Gunsten zu ändern, so würden meine Frau
und Schwester sich angelegen sein lassen, Ihrer Frau Schwägerin die Gewöhnung
an einen fremden Ort zu erleichtern.«
Die
Brüder blieben nach Wilhelms Umzug in Kassel und werden, wenngleich räumlich
beengt, sofort tätig geworden sein, da anzunehmen ist, daß die von den
Verlegern bereits im Juli veröffentlichte Börsenblattankündigung, »In unserem
Verlag wird erscheinen: Deutsches Wörterbuch von den Brüdern Grimm«, die Suche
von A bis Z belebt haben wird.
Doch
womit beginnen? Zurück zum A, der Silbe an und deren Anhängseln? Wahrscheinlich
sind es die vielen ins Haus geschneiten Briefe voller Belegzettel gewesen, die
Jacob bewogen, vorerst beim B zu bleiben und dem Brief mit bezüglichen Zitaten
sein Herkommen - »litera brevis« - nachzuweisen. Die Apostelbriefe. Der
Geleitbrief, wie ihn Luther zu seinem Schutz erhielt. Der Briefwechsel zwischen
Weimar und Jena, auf den der Goethekenner Hirzel hingewiesen hatte.
Ich
stelle mich neben den hockenden Jacob und versuche, ihn auf die Briefe Mendelssohn
Bartholdys aufmerksam zu machen, doch die Musik und Musiker, selbst der in
Kassel dirigierende und weitbekannte Komponist Ludwig Spohr finden nicht sein
Interesse. Auch kann ihn mein Hinweis auf den berühmten Brief, den
dreiunddreißig Klaus Mann aus dem Exil an Gottfried Benn geschrieben hat, sowie
dessen entsetzliche Antwort nicht ablenken. Vergeblich bleibt mein Versuch, ihn
mit dem Wort Briefmarke zu verlocken, indem ich vom Nachkriegsschicksal meiner
kindlichen Briefmarkensammlung erzähle. Er scheint nur auf sich zu hören, gibt
sich zugeknöpft, ist in sein Innerstes verkrochen: dieses beständige, die
Vokale betonende Brabbeln.
So
geht auch die Erwähnung meines öffentlichen Briefwechsels mit dem
tschechischen Schriftsteller Pavel Kohout, damals, als in Prag der Frühling
kleine Hoffnung machte, an ihm vorbei. Desgleichen Zitate aus dem Briefwechsel
mit dem japanischen Schriftsteller Kenzaburö Öe, in dessen Verlauf wir die
schuldbehaftete Kriegsgeschichte unserer Länder in Vergleich brachten. Erst als
ich mich abwendete und seine Zeitweil verließ, sah es so aus, als sei er
geneigt, mir bei besserer Gelegenheit sein Ohr zu leihen.
Aus
politischen Beweggünden habe ich mehrere Briefe als Offene Briefe geschrieben.
Einer ging an die Schriftstellerin Anna Seghers, als am 13. August 1961 quer
durch Berlin die Mauer gebaut wurde. Ich schrieb: »Heute stehen Alpträume als
Panzer an der Leipziger Straße, bedrücken jeden Schlaf und bedrohen Bürger,
indem sie Bürger schützen wollen. Heute ist es gefährlich, in Ihrem Staat zu
leben, ist es unmöglich, Ihren Staat zu verlassen...« Ihre Antwort blieb aus.
Und auch zu späterer Zeit, als ein Wort von ihr den von der Staatsmacht
bedrängten Schriftstellern hätte beistehen können, beschränkte sie sich aufs
Schweigen. Sie, die im mexikanischen Exil den tödlichen Schlag mit dem
Eispickel beschwiegen und Stalins Terror überlebt hatte, fand keine Worte.
Einen
anderen Offenen Brief schrieb ich im Jahr Sechsundsechzig, als Kurt Georg
Kiesinger Bundeskanzler der Großen Koalition wurde: »Ich frage Sie: Wie soll
die Jugend in diesem Land jener Partei von vorgestern, die heute als NPD
auferstehen kann, mit Argumenten begegnen können, wenn Sie das Amt des
Bundeskanzlers mit Ihrer immer noch schwerwiegenden Vergangenheit belasten? Wie
sollen wir der gefolterten, ermordeten Widerstandskämpfer, wie sollen wir der
Toten von Auschwitz und Treblinka gedenken, wenn Sie, der Mitläufer von damals,
es wagen, heute hier die Richtlinien der Politik zu bestimmen?«
Dieser
und jener Offene Brief, um nur aus zweien zu zitieren, haben weder den Mauerbau
noch die Kanzlerschaft eines altgedienten NSDAP-Mitglieds behindert, doch
wurde laut, was gesagt werden mußte.
Auch
andere nutzten die öffentlich bekundende Briefform. So Heinrich
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