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Grass, Guenter

Grass, Guenter

Titel: Grass, Guenter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grimms Woerter
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Und
die Witwe des Dichters Arnim wußte als nimmermüde Briefschreiberin zu melden,
»schon haben mich manche entfernte freunde hier brieflich besucht...«
    Ein Briefcouvert, Bettine,
    von deinem Blaubeermund besiegelt,
    gibt offen Botschaft mir,
    wie blindlings unsre Briefe sich gekreuzt,
    verloren blieben, dennoch neu erblühten
    und sich erbarmten meiner Pein.
    Ach,
such mich brieffrisch wieder heim,
    wenngleich
ich einst besorgt verbriefte:
    »schreib
keinen Brief, Brief kommt ins Archiv«,
    worauf
du unsern Briefverkehr,
    der
keines Endreims je bedurfte,
    doch
vom Geschmack her süß war,
    bittersüß,
mit einem Scheidebrief beenden wolltest;
    dann
aber brachte eine Taube,
    die
deinen Brief im Schnabel trug,
    als
Bote briefgeheim Bericht,
    wer
kunterbunt dich in Berlin besucht
    und
dabei pausenlos Blabla geredet habe.
    Wozu
mir ein bierbäuchiger Flame in den Sinn kommt, der kürzlich nahe Brüssel eine
Ausstellung meiner Zeichnungen und Bronzegüsse eröffnete. Weil er rundum die
Figur dazu hat und mir ins literarische Bild paßt, nenne ich ihn Lamme,
wenngleich ihm ein zeitbezüglicher Eulenspiegel als Begleitperson fehlt.
    Lamme
erzählte mir beiläufig, wie seine Familie, begünstigt durch Brieftauben, zu Geld
gekommen sei. Mittels der Erfindung seines Großvaters - oder war es sein Urgroßvater?
-, der als Bastler geschickte Hände gehabt habe, könne man bei nicht nur im
flämischen und wallonischen Belgien beliebten Wettflügen von Brieftauben, die
hier wie dort gezüchtet werden, deren Flugzeit auf die Minute bemessen. Ein
besonderes Uhrwerk, das patentiert sei, werde am linken oder rechten Taubenbein
befestigt und finde sogar in China, wo Millionen besessene Brieftaubenzüchter
nach seinen Flugzeitbemessungsuhren begierig seien, reißenden Absatz.
Mittlerweile produziere dort eine Filiale überaus billig für den asiatischen
Markt. Denn nicht nur Chinesen seien von der Wettsucht befallen. Besonders in
Krisenzeiten, wie wir sie derzeit erlebten, in denen Besitz von Schwindsucht
bedroht sei, beweise sich die Brieftaube als verläßlicher Glücksbote.
    Lamme
berichtete mir von Wettflügen über bis zu siebenhundert Kilometer Entfernung.
Daß Brieftauben sich auch in Kriegszeiten als Übermittler von todbringenden
Befehlen bewährt haben, fand nur beiseite gesprochene Erwähnung. Und daß Tauben
bösartig sein können, will er weder in flämischen noch in wallonischen
Taubenschlägen bemerkt haben. Um ihre Symboltauglichkeit für Sanftmut zu beweisen,
rief er: »Meine betragen sich friedlich!«
    So
sprach der von mir literaturbezüglich Lamme genannte Kunstfreund. Er
versicherte, was die Zukunft betreffe, sei er unbesorgt. Solange ihn der
Beistand uhrenbestückter Brieftauben begünstige, werde er sich um die Kunst
bemühen, wie er es bereits mit meinen Zeichnungen und Skulpturen tue. Dabei
seien ihm die sich in Gestalt von Bronzegüssen begattenden Paare besonders
lieb. Er streichelte einen bräunlich patinierten Guß.
     
    Nun
ist aber, um vom Brief auf die soeben erwähnte Bronze zu kommen, diese
Kupferlegierung im zweiten Band des Grimmschen Wörterbuchs, der von Biermörder
bis Dwatsch reicht, nur spärlich belegt. Nur bronzieren steht vermerkt. Kein
Bronzeguß, kein Bronzegießer fand hinein. Jacob sperrte sich aus Prinzip gegen
den Wortschatz der Handwerker. Ich aber will von einer Begebenheit berichten,
die der Stadt Göttingen im Jahr 1991, als im Südosten Europas, kurz und
unheilschwanger Balkan genannt, vieles aus den Fugen geriet, zu einer
besonderen Bronze verhalf.
    Wenngleich
die Brüder Grimm dazumal aus dieser Stadt vertrieben wurden, komme ich nicht
umhin, Göttingen immer wieder zu besuchen, weil nämlich dort mein Verleger
seinen Sitz hat. Die von ihm bei Tag und Nacht betriebene Druckerei erweist
sich als Magnet, zieht Künstler aus aller Welt an, so auch mich von Buch zu
Buch. Außerdem ist er, weil Mitglied der Lichtenberg-Gesellschaft, mit einem
Mann namens Tete Böttger befreundet, der sich als Held meiner zu berichtenden
Begebenheit beweisen wird.
    Er
kam zum Zug, weil die Behörden meinten, die Stadt sei zu arm - manche sagten
»bettelarm« -, um für den kleinwüchsigen, zudem buckligen Gelehrten und
Sudelbuchschreiber Georg Christoph Lichtenberg, der Jahre vor den Brüdern
Grimm der Universität zu blitzgescheiten Einsichten verholfen hatte, ein
überfälliges Denkmal zu errichten, und zwar in Bronze.
    Nun
ergab sich, daß Tete Böttger, ein umtriebiger und keine Grenzen

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