Grass, Guenter
scheuender
Mann, um jene Zeit auf dem Balkan, kurz bevor dort wechselseitig das Morden
begann, mit dem Ziel Albanien unterwegs war, um in der Hauptstadt Tirana eine
von ihm betreute Ausstellung des Zeichners und Meisters der Griffelkunst Horst
Janssen zu eröffnen. Übrigens sah er Janssen in Blutsverwandtschaft, was die
Tinte betraf, zu Lichtenberg; beider Federstrich bringe das Kleine zu großem
Ansehen.
In
Tirana jedoch war man gerade dabei, wie zu jener Zeit allerorts im Osten
Europas, Denkmäler zu stürzen. In Stein gehauene, aber auch solche, die
überlebensgroß in Bronze gegossen waren. Sie bildeten allesamt den Diktator
Enver Hodscha ab, der Albanien als Hort und letzten Lebensbeweis des
Stalinismus beherrscht und als Bunker unbeirrbarer Glaubensstärke befestigt
hatte.
Beim
Sturz der Denkmäler fielen etliche Bronzegüsse in Stücke. Also wurde Buntmetall
für den Schwarzhandel abfällig. Tete Böttger bewies ein Händchen für
angebotene Beute, griff zu und kam gegen deutsche Mark recht billig zu
Bruchstücken, die für einen Bronzeguß mittlerer Größe reichen mochten.
Nach
einigem Bemühen fand er sogar den Bildhauer Fuad Dushku, der einst des
Diktators überlebensgroßes Abbild geformt hatte. Nun sollte der metallene
Abfall den Aufklärer und Meister scharfzüngiger Aphorismen, nämlich jenen
Lichtenberg abbilden, dessen Denkmal auf Göttingens Marktplatz immer noch
fehlte.
So
geschah es. Nach Grafiken, auch solchen von Horst Janssens nachfühlender Hand,
machte Dushku sich mit der buckligen Figur vertraut, modellierte sie in halber
Lebensgröße, auf daß ein Gipsabguß als Modell für den erwünschten Bronzeguß
tauglich wurde: Former, Gießer, der Ziselierer, der Patineur taten, was ihres
Berufes ist.
Auch
das geschah in Tirana. Eine Gießerei, die jahrzehntelang einen Hodscha nach
dem anderen in unterschiedlichen Größen gegossen hatte, bewies nun aufs neue
mit dem bronzenen Abbild eines Mannes gegensätzlicher Denkart bewährte
Qualität: unterm Perückengelock stand in Schnallenschuhen und in gebrechlicher
Schönheit jener Ausbund treffsicherer Worte, der seinem verfinsterten Vaterland
manch Lichtlein gesteckt hatte, auf daß es seinen bedauernswerten Zustand - und
sei es auch nur zwei einleuchtende Zeilen lang - erkennen mochte. In linker
Hand hält er eine Kugel, die dem Reichsapfel gleicht, aber ein Atom mit den
Lichtenbergschen Plus- und Minuszeichen für elektrische Ladung verkörpert.
Einige
Schwierigkeiten bereitete der Transport. Noch gab sich Albanien abgeschottet,
weil um seine Grenzen besorgt. Doch Tete Böttger verstand es, den mittelhohen
Bronzeguß, verpackt und gesichert mit Klebeband, als Diplomatengepäck per
Flugreise nach Paris und weiter nach Köln zu befördern. Rund vierzig Kilo wog
die Bronze.
Beim
Überbringen der Skulptur in Böttgers Benz kam es auf der Autobahn Richtung
Göttingen zu einem kleinen Malheur. Nein, kein Blechschaden, doch durchschlug
beim plötzlichen Bremsen die auf den Hintersitzen gelagerte Bronze die
Frontscheibe. Der Guß nahm keinen Schaden.
Dann
war es soweit. Endlich! Göttingen wurde mit einem Denkmal beglückt, das,
gegossen aus der bruchstückhaften Bronze eines überlebensgroßen Potentaten und
Parteibonzen, nun allseits sichtbar einen Mann darstellt, der mit einem seiner
tausend Aphorismen dafür geworben hat, ein Paar Hosen zu Geld zu machen und für
den Betrag ein Buch zu kaufen.
Seitdem
steht Lichtenberg auf dem Marktplatz. Die Bodenplatte mußte mit Schrauben
befestigt werden, so daß die Skulptur, falls sie stören sollte, jederzeit den
Standort wechseln kann. Wer aber die Inschrift der Bodenplatte lesen will, muß
sich beugen, vor ihm verbeugen. Und wer seinen Buckel streichelt, dem
vermitteln sich jene blitzgescheiten Gedanken, deren wir derzeit bedürftig
sind.
In
Grimms Wörterbuch kommt er vor, verkürzt zitiert und meistens um den Witz
gebracht. Doch für ein allseits zu bestaunendes Denkmal der Göttinger Sieben,
wie es immerhin in Hannover zur Ansicht kommt, fehlt es den Stadtvätern sowie
den Professoren der immer noch als berühmt geltenden Universität an Geld, also
an Bronze. Vielleicht sollte sich Tete Böttger wiederum auf Reise begeben, sobald
abermals bruchreife Denkmäler gestürzt werden und Buntmetall billig zu haben
sein wird.
Juckt er euch wieder, der
Buckel? Ihn mit Schlägen salben, einreiben mit Pfeffer und Salz. Sich einen
Buckel lachen, auf dem sich rutschen läßt, bergab.
Fischart
weiß: »ein
Weitere Kostenlose Bücher