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Grass, Guenter

Grass, Guenter

Titel: Grass, Guenter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grimms Woerter
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hatte auftreten müssen, worauf er in der Nationalbibliothek
und im Louvre nicht mehr gern gesehen wurde - so vom einst befreundeten Bibliotheksdirektor
-, wurde nunmehr die Gunst französischer Ehrung zuteil.
    Dabei
hatte es Anlässe genug gegeben, in Paris schier zu verzweifeln, weil kostbare
Erstausgaben unauffindbar blieben. Doch immerhin konnten viele der geraubten
Bücher aus Regalen und Archivverstecken gezogen werden. Auch glückte es, einen
Teil der verschleppten Gemälde, unter ihnen welche von Rembrandt und Rubens,
aus dem Louvre zu bergen oder in entlegenen Magazinen zu finden. Aber um
welchen Preis! Jacob befürchtete, sich allerorts Feinde gemacht zu haben.
    Er,
der in Paris oft verärgert gewesen war, weil man ihm falsche Auskunft gegeben
hatte oder weil ein Teil der churhessischen Kunstschätze mittlerweile von
gewinnsüchtigen Franzosen ans gestern ihnen noch feindliche England und Rußland
verkauft worden war; er, Jacob, der hinnehmen mußte, wie hilflos und
gleichgültig die Commission der deutschen Fürsten diesem frechen Handel
zugesehen hatte, erlebte nunmehr, gut dreißig Jahre nachdem ihm ein Sack voll
böser Erfahrungen beschert worden war, mit welcher Hochschätzung man in
Frankreich immer noch seine Gelehrtentätigkeit sah; war er doch ab sofort ein
dort verehrter Ritter der Ehrenlegion.
    Und
was geschah von deutscher Seite, als es Jacob Grimm gelang, immerhin einen Teil
des Raubes aufzustöbern und unversehrt auf den Rückweg zu bringen? Zwar erhielt
er vom preußischen Staatskanzler Hardenberg ein anerkennendes Schreiben, in dem
sein resolutes Zugreifen gelobt wurde, aber der hessische Churfürst unterließ
jeden Dank. Diese Kränkung nahm Jacob als Gewohntes hin, litt aber aus anderem
Grund: viele altehrwürdige Handschriften und Bücher, die ihm während der
Kasseler Jahre zur Hand, ihm Quelle und Labsal gewesen waren, mußten als für
immer verschwundene Kriegsbeute gelten.
     
    Ein,
wie anzunehmen ist, bleibender Schmerz. Dennoch findet sich das Beschlagnahme
anzeigende Wort »confiszieren« nicht im Wörterbuch. Zwischen Confect und confus
klafft ein Loch. Dabei ist Kunstraub von altersher Vorrecht der Sieger gewesen.
Rom schmückte sich mit griechischem Marmor. Napoleon plünderte Ägypten. Spanier
und Engländer klauten und waren nicht faul dabei. Und wenn die Deutschen
zeitweilig als Sieger galten, nahmen sie und zeigten sich gründlich im Nehmen.
Selten nur tauschte man Raub gegen Raub. In der Regel blieb alles Diebesgut in
Räubershand. So bis in meine Tage, auf die der letzte Krieg immer noch Schatten
wirft.
    Beutekunst
ist zum Stichwort vergeblich verhandelnder Commissionen geworden. Verlust wird
mit Zugewinn verrechnet. Einstige Sieger und Besiegte halten fest, geben nur
zögernd frei, wollen haben, wenn sie liefern. In dieser Sache handeln alle
Nachlaßverwalter nach einer Confession.
    Wohl
deshalb nutzte ich, als mir im Jahr 2001 von Gesine Schwan, der Präsidentin der
Europa-Universität zu Frankfurt an der Oder, der Viadrina-Preis verliehen
wurde, die Gelegenheit, in meiner Danksagung, und nachdem ich aufgezählt
hatte, wieviel Leid Deutsche den Polen, dann Polen den Deutschen zugefügt
haben, einen Vorschlag zu machen, von dem ich annahm, er sei geeignet, das
häßliche Wort »Beutekunst« zu entkräften, »wenn«, wie ich sagte, »Deutsche und
Polen bereit sind, von nationalen Besitzansprüchen abzusehen und gemeinsam - um
konkret zu werden - ein Museum zu bauen, in dem die umstrittenen Bilder,
Skulpturen, Manuskripte, Partituren und Bibliotheken ihren bleibenden Ort finden.
Ein solches Museum sollte in Grenznähe, womöglich beiderseits der Oder und -
warum nicht - den Fluß überbrückend Gestalt gewinnen.«
    Es
gab zögerlichen, dann sich selbst ermunternden Beifall. Die Präsidentin, eine
offenbar durch nichts zu erschreckende Frau, lächelte construktiv, was den
Redner ermutigte. Also sah ich mich angestoßen, diese Idee, die sich bereits im
Manuskript als verstiegen genug ablas, weiterzuspinnen und meinen Zuhörern, den
polnischen, den deutschen Studenten, ein Bild zu suggerieren: »Ich sehe das
Bauwerk vor mir: den großen Bogen über den Fluß. So stellt sich ein Stück
zukünftiges Europa dar. Denn nicht den Nationen allein gehört die Kunst.
Kunstwerke sind, so ortsgebunden sie sein mögen, von ihrer Wirkung her
grenzüberschreitend. Sie dürfen nicht länger Kriegsbeute sein.«
    Nachhallende
Wörter. Obgleich vom Beifall begraben, wollen sie noch immer

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