Grass, Guenter
hielt
er das neue Gedicht für ansprechend und immerhin singbar. Sich einigen Erfolg
und kleinen Gewinn erhoffend, sorgte er sogar dafür, daß dem Text eine
Melodie, entnommen Haydns Kaiserquartett, unterlegt wurde.
So
kam es, daß es bald bei patriotisch gestimmten Vereinstreffen nach drei Glas
Wein oder etlichen Humpen Bier von corporierten Studenten gesungen wurde. Und
später, viel später, im Ersten Weltkrieg, stürmten nahe dem flandrischen
Flecken Langemarck junge deutsche Kriegsfreiwillige ins englische
Maschinengewehrfeuer, wobei sie die erste Strophe des Liedes sangen, bis ihnen,
vom Blei getroffen, das Singen verging.
Erst
im Jahr 1922 wurden alle drei Strophen zur Nationalhymne erhoben; weil aber
nach dem Zweiten Weltkrieg die der doppelten Anrufung Deutschlands folgende
Zeile »über alles in der Welt« allzu anrüchig klang, durfte ab zweiundfünfzig
nur die dritte gesungen werden. Das geschieht immer noch, etwa vor
Länderspielen gleich welcher Sportart, so daß dieses Lied seinen Urheber und
dessen Erben hätte reich machen können, falls Tantiemen gezahlt worden wären.
Er starb erst 1878.
Nun
ergab sich aber, daß Hoffmann von Fallersleben in Berlin weilte, als am 24.
Februar 1844 Wilhelm Grimms 58. Geburtstag gefeiert wurde. Eher zufällig
gehörte er zu den Geburtstagsgästen, zu denen auch Bettine von Arnim mit
einigen ihrer vielen Kinder zählte. Mit Familie war gleichfalls Savigny dabei.
Es hätte auch der dänische Märchendichter Andersen unter den Gästen
bemerkenswert sein können, doch der war, weil zuvor von den Brüdern und insbesondere
von Jacob recht kühl, wenn nicht schroff abweisend empfangen, nach Dresden
gereist, wo er sein geschwindes Märchen »Die Eisenbahn« schrieb. Wäre er dabei
gewesen, hätte die Geburtstagsparty womöglich einen anderen Verlauf genommen.
Fallersleben
war mit den Grimmbrüdern seit Jahren bekannt, teilte er doch deren Neigung zur
Erforschung frühdeutscher Dichtung. Sie hießen ihn willkommen und zeigten
Mitgefühl für sein erzwungenermaßen unstetes Leben. Als sich aber, wie schon
während vorjähriger Geburtstagsfeiern, vor dem Haus Studenten versammelten, um
mit Liedern, Gedichten und Hochrufen bei Fackelschein dem Geburtstagskind
Wilhelm und zugleich Jacob zu huldigen, traten nicht nur die beiden vor die
Haustür oder ans Fenster, oder, falls es den gab, auf den Balkon - die Berichte
der Augenzeugen widersprechen einander -, sondern noch jemand: nach einigem
Zögern - später hieß es, von Bettine dazu beredet - stellte sich Hoffmann von
Fallersleben neben die Brüder und sogleich erkannten ihn die Studenten.
Nun
kam es zu Hochrufen, die den Dichter des Liedes der Deutschen beim Namen
nannten. Nichts Ungewöhnliches, denn wie die Grimms war Fallersleben bei den
Studenten beliebt. Doch kann es sein, daß einige, dann immer mehr junge Leute
aus den »Unpolitischen Liedern« zu citieren begannen, etwa das anrüchige
»Knüppel aus dem Sack«, dessen letzte Strophe nach Manier des Kehrreims in den
Ausruf mündet: »Frisch: Knüppel aus dem Sack. Auf's Lumpenpack! Auf's
Lumpenpack!«
Schlimmeres
ist nicht verbürgt. Doch da es nicht an Denuncianten fehlte, sah man sich im
Umfeld des Königs und mehr noch in Regierungskreisen strafwürdig verhöhnt.
Sogar Savigny soll die Citierfreude der Studenten als rüpelhafte Provocation
gewertet haben. Er, der zuverlässigste aller Bedenkenträger, hat vorahnend mit
Sanctionen gerechnet.
Tagsdrauf
wurden Studenten und ein Docent verhaftet, Fallersleben ausgewiesen. Ohne Frist
mußte er Berlin verlassen, so daß sein unstetes Leben vorerst kein Ende nehmen
wollte. Doch nutzte er zwischen Zuflucht und Zuflucht die Zeit, eine Vielzahl
Kinderlieder zu schreiben, die immer noch, womöglich weit häufiger als das
Deutschlandlied, zu wechselnden Jahreszeiten nach seiner Melodie gesungen
werden; etwa »Winter ade« - »Ein Männlein steht im Walde« - »Alle Vögel sind
schon da« und, den Consum fördernd, weil zum Kauf von mehr und mehr Geschenken
stimulierend: »Morgen kommt der Weihnachtsmann«.
Aber
die Gastgeber der bespitzelten Geburtstagsfeier, von denen einer vor Jahren aus
Göttingen vertrieben worden war, erhoben nicht nur keinen Einspruch gegen die
Ausweisung des Dichters Fallersleben aus Berlin, sondern gaben, als sich die
Presse des Scandals bemächtigte, in der Vossischen Zeitung eine von beiden
unterzeichnete Erklärung ab, die sogleich Stadtgespräch wurde und bald außerhalb
Preußens Unmut
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