Grass, Guenter
Schwarzweiß der Preußen. Wilhelm
schwankt bedenklich, doch Jacob schickt Dorothea und deren Tochter »ein klein
tüchelchen und auch Gustchen eins und ein strohhutband, beides in den drei
färben, die es nun vielleicht nicht mehr tragen mag. doch hoffe ich, es ist
gut deutschgesinnt und trägt sie.«
Und
Sorgen macht er sich brieflich, es könne in Berlin abermals die Cholera um sich
greifen. Deshalb rät er zur Abreise der Familie. Wilhelm hingegen gibt sich
beruhigt, weil genügend Militär nunmehr für Ordnung sorgt.
Wie
nebenbei gesagt wünscht Jacob noch, daß der Bruder ein Exemplar seiner endlich
gedruckten »Geschichte der deutschen Sprache« an den König schicken möge; stolz
auf das Werk und doch untertänigst.
Ferner
teilt er mit, es habe die »äußerste linke einen argen scandal ausgelöst, als
von der amnestie für Hecker und genossen verhandelt wurde«. Schließlich ist zu
erfahren, daß nach Gervinus nun auch Albrecht enttäuscht das Paulskirchenparlament
verlassen habe. Er klagt: »beide haben weder von Dahlmann noch von mir abschied
genommen.«
Jacob
jedoch bleibt eine weitere Zeit lang. Zwar gilt er als Schmuckstück der
Nationalversammlung, dennoch werden seine Anträge, zu denen er jeweils
ausgefeilte Reden hält, niedergestimmt. Der eine Antrag, der eine Änderung im
ersten Artikel der Grundrechte zur Absicht hat, fordert: »das deutsche volk ist
ein volk von freien, und deutscher boden duldet keine knechtschaft. fremde
unfreie, die auf ihm weilen, macht er frei.«
Vielleicht
fand dieses wohlmeinende Begehren keine Mehrheit, weil in ihm dringlich nur
Freiheit, nicht aber, nach französischem Dreiklang, Gleichheit und
Brüderlichkeit als Bausteine der zukünftigen Verfassung gefordert wurden; so
brüderlich Jacob mit Wilhelm umging, so wenig hielt er von außerfamiliärer
fraternite; und der egalite sah er sich, bei aller ihm eigenen Bescheidenheit,
weit enthoben.
Mit
weiteren Anträgen will er Standesprivilegien des Adels und jegliche Orden
abschaffen. Er scheitert abermals. Wahrscheinlich wollten neben Republikanern
aus gräflichem oder fürstlichem Haus, sogar radikale Demokraten ihren blechernen
Schmuck nicht ablegen und auf keinen Fall von ererbten Pfründen lassen; ihm
hingegen war der Erbadel schon seit Kasseler Schuljahren suspekt, wurden doch
blau-blütige Söhnchen von den Lehrern mit Sie angesprochen, den Brüdern jedoch
kam nur demütigend ein Er zu.
Als
im September die nationalliberalen Abgeordneten Lichnowsky und Auerswald von
linken Aufrührern auf offener Straße erschossen werden, worauf Truppen die
Stadt besetzen, schreibt Jacob an Wilhelm: »dies hemmt meine abreise um einige
tage, stärkt aber meinen entschluss aus dieser Paulskirche, die gestern
gestürmt werden sollte, für immer zu scheiden.«
Im
Oktober kehrt er nach Berlin zurück und nimmt bitteren Nachgeschmack mit.
Meine
Paulskirchenerfahrung beschränkt sich auf einen einzigen Vormittag. Im Oktober
1997 sollte gegen Ende der Frankfurter Buchmesse einem türkischen
Schriftsteller der Friedenspreis des deutschen Buchhandels verliehen werden.
Der Börsenverein teilte mir mit, Yasar Kemal, der Preisträger, habe sich
gewünscht, ich solle auf ihn die Laudatio halten. Das fiel mir leicht, denn
Kemal war mir als fesselnder Erzähler und widerständiger, deshalb in der Türkei
stets gefährdeter Autor bekannt.
Also
begab ich mich mit Hilfe seiner Bücher nach Anatolien, ging Wort für Wort
seiner anatolischen Saga nach und schrieb eine Rede, die - wie konnte es anders
sein - Anstoß erregte, weil es um einen Kurden aus der Türkei und um die dort
anhaltende Kurdenverfolgung ging.
Die
Paulskirche war mit allem besetzt, was Frankfurt an Publikum mit kulturellem
Anstrich und börsennotierten Wertvorstellungen zu bieten hatte. Neben Kemal,
der von riesenhaftem Wuchs ist, kam ich mir geschrumpft vor, doch fiel es
nicht schwer, zu ihm aufzublicken. Nach der üblichen Begrüßrede und
Preisverleihung, war ich dran und beschwor anfangs den historischen Ort: »Von
1848/49 an suchte in der hier tagenden Nationalversammlung die Revolution bis
hin zu ihrem Scheitern beredten Ausdruck.« Dann kam ich auf das Ende der
erstmals geübten parlamentarischen Redekunst: »Nicht die Mühsal der
Paulskirchenversammlung, wie sie der Maler Johannes Grützke aus
melancholisch-ironischer Sicht ins umlaufende Bild bringt, sondern Bismarcks
Machtwille wurde für Deutschlands Zukunft bestimmend.«
Danach
war vorerst nur von Yasar
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