Grass, Guenter
aus
deutscher Kolonialzeit geblieben. Das Klima und der Erste Weltkrieg hatten zwei
Reihen junge Kerls, deren Vornamen norddeutschen Klang gehabt hatten, hierher
gebracht.
Und
ich erinnere mich an einen Banyanbaum, dessen Geäst weitverzweigt Schatten
warf. Unter ihm hockten junge und alte Männer im Kreis. Flüchtlinge aus
Mosambik, wo Krieg herrschte. Sie gehörten dem Stamm der Maconde an, waren
Holzschnitzer. Ich sah, wie unter ihren Händen aus Ebenholzblöcken abstrakt
anmutende Gebilde entstanden. Gleich einem Gespinst umschlossen endlos
verästelte, ausgedünnte, dann wieder knotig verdickte Arme immer mehr
Durchbrüche und Hohlräume. Fratzen gaben geisterhaft den Werkstücken Gesicht,
die im Kreis wanderten, von einem Holzschnitzer dem nächsten übergeben. Jeder
hatte Anteil. Keinem entgingen die immer leichter werdenden Blöcke. Die
jüngeren Männer waren fürs Grobe zuständig, die alten für letzte Feinheiten.
Außer dem Geräusch der Schnitzmesser und Feilen war nur ein aus halblautem
Gerede entstehender Singsang zu hören. Nichts, kein Zuschauer konnte von dem
unablässigen Kreislauf ablenken.
Die
Endprodukte waren käuflich zu erwerben. Noch heute ruft in meiner Werkstatt
eine Macondeskulptur als ebenholzschwarzes Gebilde, das Dämonen bannt,
Erinnerungen wach an den schattenwerfenden Banyanbaum, die Sisalfelder, an
Nyerere und Tansania, den Friedhof aus Kolonialzeiten, an Entwicklungsruinen
und eine gescheiterte Idee.
Bevor
ich aber mit dem Stichwort Erinnerung wieder beim Buchstaben E einraste und bei
den wörtersammelnden Grimmbrüdern bin, also versucht sein könnte, vom vorlautenden
»er« und seinen hundert Anhängseln - erhaben, erkälten, erzählen - auf den Erinnerungsaltar,
die Trugbilder der Erinnerung und schwindendes Erinnerungsvermögen zu kommen,
soll noch einmal an die bereits festgeschriebene Tatsache erinnert werden, daß
endlich, im Jahr 1854, der erste Band des Wörterbuchs, der das A ausschöpft und
zum B übergeht, den Buchhandel beglückte.
Dickleibig,
mit annähernd 2 000 doppelspaltigen Seiten kommt er daher. Eingangs schmückt
ihn das in Kupfer gestochene Doppelbild. Wilhelm sitzt und schaut mit seitlich
abgeleitetem Blick am Betrachter des Stiches vorbei. Jacob steht, dem Bruder
leicht zugeneigt, und scheint ermüdet zu sein. Glatthaarig der Sitzende. Des
Stehenden Haar fällt noch immer gelockt. Beide silbrig ergraut. Man könnte
meinen, es habe sich Bücherstaub auf ihnen gelagert.
Dem
Porträt der namhaften Brüder, das jemand nach einem photographischen Vorbild
gestochen hat, mangelt die Qualität der Radierungen von Ludwig Emils Hand, idealisiert
aber die beiden nicht, sondern stellt sie in einer Haltung vor, die ihre
Arbeitslast ahnen läßt. Der betonte, was Wilhelm betrifft, mürrische Ernst
verdeckt die womöglich noch immer empfundene Lust alltäglicher Wörtersuche.
Dazu tragen schwarze Gehröcke bei. Die Knöpfe stoffbezogen. Steif und bieder
sind die Brüder gekleidet.
Ganz
anders tritt die gut sechzig Spalten lange Einleitung auf, deren Niederschrift
sich Jacob vorbehalten hatte. Sie hebt an mit dem Hinweis auf den hannoverschen
Verfassungsbruch, faßt die Protestation der sieben Göttinger Professoren
zusammen - »denn wozu sind eide, wenn sie unwahr sein und nicht gehalten werden
sollen?« -, kommt dann auf die Ausweisung ins Exil und den Antrag der Weidmannschen
Buchhandlung, »unsere unfreiwillige musze auszufüllen und ein neues, groszes
Wörterbuch der deutschen spräche abzufassen«. Gegen Schluß der weitläufigen
Ausführungen, in denen sich der Verfasser gegen gotisch verschnörkelte und für
das Schlichte lateinischer Druckschrifttypen ausspricht, wird die Vielzahl von
Fremdwörtern und deren mangelhafte Verdeutschung, zudem die immer noch
regellose Rechtschreibung beklagt, zugleich aber die dem Wörterbuch durchgängig
verordnete Kleinschreibung sowie das abschließende sz bei »grosz, strasze,
fleisz« verteidigt.
Anschließend
aber kann sich Jacob nicht des Zorns erwehren, mit dem er die Kritiker der
seit zwei Jahren vorausgelieferten Teile des Wörterbuchs eindeckt. Er bezeichnet
sie, ohne sie namentlich zu entkleiden, als »zwei spinnen« und sagt ihnen
nach, sie seien »auf die kräuter dieses wortgartens gekrochen und haben ihr
gift ausgelassen«.
Dann
nennt er sein Werk ein »vaterländisches« und spricht die zukünftigen Käufer und
Nutznießer direkt an: »Deutsche geliebte landsleute, welches reichs, welches
glaubens ihr
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