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Grass, Guenter

Grass, Guenter

Titel: Grass, Guenter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grimms Woerter
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Unzucht, »denn was möchte
besser anstehn als lust wider die natur kalte lust zu heiszen?« Sodann wird auf
das Sinnwidrige, weil Unanständige des vulgären Wortgebrauchs hingewiesen, in
dem zugleich »kalte träume« und »kalte ratschlage« als böse erklärt werden.
    So
hat sich Jacob, der sich, was seine Anmerkungen zu »schmutzigen Wörtern«
betrifft, als zwiespältig erweist, mit seinem in dieser Hinsicht eher laxen
Verleger ergänzt. Dessen wörterkundige Beiträge wurden noch oft behilflich und
lassen nach und nach eine Person kenntlich werden, der hier ein aus
bewundernden Wörtern gefügtes Denkmal errichtet werden soll: geduldig, klug,
bescheiden mit seinem Wissen haushaltend und zu leisem Witz fähig, dabei
weitsichtig im Urteil, bringt er seinen bürgerlichen Erwerbssinn nur beiläufig
zur Sprache. Als Liberaler ältester Schule war Salomon Hirzel zugleich ein
gemäßigter Patriot, der politisch den Einsichten seiner Vernunft folgte, also
verstand, den ihm eignen Freisinn unter Aufsicht zu halten. Wohl deshalb gibt
er mit keinem Wort den jüdischen Hintergrund seiner Familie zu erkennen, was
erklären mag, warum Jacobs wütiger Angriff auf Daniel Sanders, den ihm
verhaßten Kritiker des Wörterbuchs, ohne Antwort blieb. Entweder sah sich der
Verleger willentlich nicht als bekennender Jude, vielmehr als aufgeklärter
Christ, oder er wußte Gründe, sich bedeckt zu verhalten. Vielleicht ahnte er
die Gefährdung seiner Existenz, befürchtete Entsetzliches, nahm sich deshalb
schützend zurück und hat aufkommende Ängste, die innerhalb seiner Familie
spürbar wurden, beschwichtigt. Jedenfalls ist in dem überlieferten Briefwechsel
nichts zu finden, das sich als Andeutung lesen ließe. Vielmehr gilt seine Sorge
noch vor dem Erscheinen des ersten Bandes einzig den Lieferungen für den
zweiten, dem Wilhelms Zuarbeit gesichert ist. In Briefen ist Hirzel, ohne
allzu eindringlich zu werden, nur um den Fortgang der Wortfindungen besorgt.
    Jacob
hingegen, der mittlerweile das B und das C hinter sich glaubte und schon seit
Monaten mit dem Buchstaben E den Tiergarten heimsuchte, könnte seinem Verleger
mitgeteilt haben, daß ihn, nachdem die Frage nach dem »kalten bauer« geklärt
sei, eine eher harmlose Lust errege, er wolle der vorlautenden Silbe er
nachgehen, nachdem er das gleichlautende Pronomen dritter Person erschöpfend erläutert
habe. Was mit erachten beginne, zum erbarmen führe und mit erzittern ende,
lasse eine erschreckend weitläufige Wortstrecke erkennen.
    Ein Wort, in dessen engstem Umfeld
    ertappen, erwischen zu finden sind.
    Wenn einerseits erkennen in Luthers Bibeldeutsch -
    »Jakob erkannte sein weib« -
    beiliegen, Beilager bedeutet,
    wird andererseits durch Erkennen
    erweiterte Erkenntnis erworben,
    weshalb schnüffelnde Geheimdienste
    Erkennungsdienste genannt werden,
    die eifrig erkennungsdienstlich ermitteln
    und je nach Lage und Erkenntnisstand
    von auf Papier gesicherten Erkenntnissen
    Gebrauch machen, indem sie, was erkannt ist,
    zu Protokoll geben und so
    erfaßte Personen erkennbar machen;
    zudem hängen Soldaten
    Erkennungsmarken aus Blech an,
    damit ein jeder, falls er den Tod erleidet
    und erkaltet gefunden wird,
    erkannt werden möge,

mag er auch noch so entstellt sein.
    Und
was sonst der vorlautenden Silbe folgt: erschießen, erschlagen, erwürgen. Indem
Jacob, wie immer seinem Bruder auf Umwegen weit voraus, sich im Tiergarten
ergeht, hier unter Eschen, dort zwischen hochstämmigen Eichen sein dem er
anhänglichen Wortschatz ergänzt und dabei dem Buchstaben E zunehmend Geschmack
abgewinnt, nähert er sich dem mittelhochdeutschen etswer und eteswa, springt
vom etswie auf das gebräuchliche etwa, um über etwan mit einem Flemingzitat,
»solt etwan heute noch ich vor dem feinde sterben«, auf mundartlich eppes,
wiederum auf etwas, also das Unbestimmte dieses vielgenutzten Wortes zu kommen:
etwas ist faul, fehlt, ist immer zu wenig. »Nicht viel ist doch etwas«, sagt
Lessing, und Rückert ruft dem närrischen Kind zu: »du sollst ja nur etwas,
nicht alles werden.«
    Später
wird dieses Stichwort mehr als zwei erklärende Spalten hergeben, auf denen es
um »ein gewisses unnennbares etwas geht, das sich vielleicht eben deswegen
nicht nennen läszt, weil es ein bloszes nichts ist«.
     
    Während
Jacob noch eine Weile das ungewisse etwas hin- und herwendet, wobei es immer
weniger Sinn macht, sich entleert und schließlich wie jedes zu wiederholt
gekaute Wort verflüchtigt, begegnet

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