Grass, Guenter
von einem Kinderspiel zu berichten, an Hirzel schrieb:
»Rudolf muß alle Morgen um vier oder fünf hinaus und exerzieren, gestern hat er
eine Schanze stürmen müssen...«
Ende
November des Sterbejahres schickte er sogar mit letztem Brief Korrekturen an
den Verleger. Wenn es zuvor noch um durchackern und durcharbeiten gegangen war,
enthielten die Bögen nun die Stichwörter durchziehen bis Dürrbein, mithin
alles, was dem durch anhing: von durchaus bis Durchzug. Außerdem bot Wilhelm
Belege an, die den Durst betrafen, »der wütenden tyrannen eitel durst«, der bei
Luther zu finden war, und den Durst der fröhlichen Zecher, wie Uhland ihn
feierte: »es reimt sich trefflich wein und schwein, und paszt sich köstlich
wurst und durst.« Doch nichts wies vorausahnend aufs Dunkel, auf jäh
einbrechende Dunkelheit hin.
Wenn
Hirzel Antwort gegeben hätte, wären seine Auskünfte auf Fragen zu D-bezüglichen
Wörtern zu spät gekommen. Am 16. Dezember starb Wilhelm Grimm.
Erst
einen Monat danach schrieb Jacob an den Verleger: »er lag schlaflos in heftigen
phantasien, fast immer redend, oft schön und zusammenhängend aber plötzlich
abspringend, erinnerungen früher und später zeit vermischend, so giengs zum
tode hin, der ganz still, ohne ausathmen eintrat.
Im
weiteren Verlauf des Briefes, der sich sachlich zu geben suchte, nahm der
übriggebliebene Bruder Anstoß an einem Nachruf, den Wilhelms Sohn Herman
geschrieben und der »Vossischen Zeitung« zum Abdruck gegeben hatte. Besonders
rügte er die dem Text eingefügte Erwähnung der zuvor verstorbenen Bettine von
Arnim. Er nannte den Einschub »überflüssig und die Wirkung des nachrufes
schmälernd«.
So
verhärtet war er, so streng um den Namen Grimm besorgt. Bettine hätte ihn mit
schnellem Urteil in Briefen oder gar öffentlich einen Philister gescholten.
Von
den übrigen Trauernden, Wilhelms Witwe, der Tochter Auguste, dem Soldaten
Rudolf, ist kein Wort überliefert. Weil für den Tiergarten das Wetter zu
unwirtlich naßkalt war, stand Jacob in des Bruders nun unbelebter Gelehrtenstube,
wechselte in seine, ließ aber die Arbeit am Wörterbuch ruhen. Dem Verleger
teilte er mit: »am liebsten lese ich in den märchen und hole das von Wilhelm
zuletzt darin gearbeitete nach. Sie müssen noch einige geduld mit mir haben.«
Vielleicht
hat er sich doch mit der dem Leser gefälligen Umschreibung der Urfassungen
endlich befreunden können, etwa mit dem neuen Beginn des Märchens »Der Froschkönig
oder der eiserne Heinrich«, das nun mit dem ihm nachklingenden Erzählton des
Bruders wundersam anhebt, »In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen
hat, lebte ein König...« und gegen dessen Ende die drei eisernen Bänder um des
treuen Heinrich Herz eins nach dem anderen brechen.
Aber
womöglich und denkbar, weil naheliegend, gelang es ihm, nach dem »Froschkönig«
in »Fitschers Vogel«, dann in »Frau Holle« zu blättern und sich in dem Märchen
»Fundevogel« festzulesen, das mit »Es war einmal ein Förster« beginnt. Darin
werden des Försters Tochter Lenchen und das Kind Fundevogel in einen
Rosenstock, dann zu einer Kirche, zuletzt zu einem Teich mit einer Ente drauf
verwandelt. Und als zum Schluß beide Kinder herzlich froh das Ende aller Gefahr
feiern, heißt es: »Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch.«
Für
Wilhelm aber, für den das Regelwerk dröger Vernunft fernerhin nicht mehr gelten
wollte, war Unsterblichkeit angesagt, auch wenn es ihm nicht gelang, den
zweiten Band des Wörterbuchs, der von Biermörder bis Dwatsch reicht, bis zur
Veröffentlichung zu fördern. Das tat im folgenden Jahr Jacob, der, wenn es um
den Bruder ging, stets fürsorglich war.
BIS DIE FRUCHT FIEL
Was
fortwährend nagt: der Fall Fallersleben, und was sonst der Fall war und ist:
der Sündenfall, Kniefall, Mauerfall oder das globale, folglich den Weltraum
befallende Abfallproblem.
Von
den Gefälligkeiten der Politiker ist allenfalls beiläufig, nur selten
gegebenenfalls die Rede. Für Durchfall kann auch Dünnpfiff gesagt werden. Im
Falle eines Falles wollte Pilatus von Fall zu Fall entscheiden, entschied dann
aber doch Knall auf Fall.
Später,
viel später wurde das Fallbeil mit Volkes Beifall als Fortschritt gefeiert,
sobald es... Und im Krieg war Fallschirmseide begehrt. Als dann Millionen
gefallen waren, wurde die Frage gestellt: Gefallen wofür?
Was
sonst noch fällt: Blätter, Schnee, Regen, Tau, Bomben natürlich und letzte
Hemmung.
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