Grass, Guenter
Beifall verschüttet. Doch als ich vierzig Jahre
nach Kriegsende, zum 8. Mai wiederum vor der versammelten Akademie sprach,
löste die Rede unter dem Titel »Geschenkte Freiheit« besonders in der Sektion
Bildende Kunst Empörung aus, weil ich über ein Nebengleis meiner Beweisführung
auf den Zustand der Künste und das Verhalten der Künstler während der Nachkriegszeit
kam, folglich die dogmatischen Verengungen des Ostens wie des Westens
miteinander verglich und nach der östlich erzwungenen Parteilichkeit den
westlichen Kult um die gegenstandslose Malerei verspottete: »Von all dem Häßlichen,
das man glücklich hinter sich zu haben meinte, sollte möglichst nichts zu
erkennen sein. Chiffren, ja. Ornamente, gewiß. Auch Materialien, Strukturen die
Menge, die reine Form. Nur Überdeutliches nicht, nichts, das als Bild
schmerzte. Kein Dix, kein Kirchner, kein Beckmann zwang das erlebte Grauen ins
Bild.«
Das
konnte oder wollte Malern, die in Katalogtexten als »informel« galten, nicht
gefallen. Sie, die sich blindgestellt hatten, beschenkten mich mit einer
schwarz auf gelb gepunkteten Blindenbinde. Sie, die frei zu sein glaubten,
fügten sich freiwillig dem Diktat des Marktes. Dabei galt meine Rede mit
Übergewicht dem Begriff Freiheit, der fehlenden, der geschenkten, der
mißbrauchten, also jener, die sich mit der Parole »Freie Fahrt für freie
Bürger« auf Fernstraßen austobt, und schließlich der Freiheit, die jeweils wir
meinen, nicht die der anderen, also der bürgerlichen, die soziale Rechte
kleinschreibt, der kommunistischen, der bürgerliche Rechte nichtig sind.
Ich
sagte: »Gegenwärtig will zwanghafte Ausgewogenheit jeden intellektuellen Disput
ersticken. Die geschenkte Freiheit ist der oft berufenen Schere im Kopf
unterworfen. Ungehemmt schlägt der Gruppenegoismus der pluralistischen
Gesellschaft durch. Dem entspricht: ungeniertes Einsetzen der Ellenbogen im
Sinne eines freiheitlichen Vulgärdarwinismus; gelangweiltes Desinteresse der
wirtschaftlich Gesicherten, sobald soziale Not als gegenwärtiges Wachstum zur
Sprache kommt; und im Bereich der Künste die wiederholte, frech als Neuheit
plakatierte Hinwendung zur saisonbedingten Unverbindlichkeit. Schnell sind
Begriffe zur Hand, die sich austauschen und etwa dergestalt raffen ließen: Die
multimediale Innovation Neuer Körperlichkeit findet als inszenierter Mythos der
Selbstverwirklichung in alternativer Szene und unter dem Markenzeichen neoliberaler
Postmoderne statt.«
Lauter
Wortmüll, den die Grimmbrüder bestimmt verworfen hätten, der aber in den
achtziger Jahren im Handel war und noch heutzutage aufgeputzt wabert, wenn etwa
unserem feist ins Blickfeld gerückten Fernsehphilosophen die Seifenblasen
bonbonfarben vom Munde fliegen und schillern, bis sie platzen: wohlfeiles
Gefasel, das bis ins Feuilleton Widerhall findet.
Jacob
hingegen wird, als er vor den Mitgliedern der Königlich Preußischen Akademie
der Wissenschaften seine Rede über Wilhelm hielt und sich dabei reinlich vom
Bruder unterschied - »von kindesbeinen an hatte ich etwas von eisernem fleisze
in mir, den ihm schon seine geschwächte gesundheit verbot; seine arbeiten waren
durchschlungen von Silberblicken, die mir nicht zustanden« -, das Wort Freiheit
heilig gewesen sein, denn so wohllautend er sprach und dabei ans Manuskript
gebunden war, blieb er dennoch inwendig frei, weilte an anderem Ort: mit Vorzug
in seiner Studierstube, gebeugt über Belegzettel und Wortlisten, die alle, wie
der so schöne und gleichwohl vergebliche Ruf nach Freiheit, dem Buchstaben F
Untertan waren.
Seine
Akademiereden, meine. Was jeweils verhallte und dennoch gesagt werden mußte.
Also nannte ich die Freiheit eine Hure, die jeder ficken darf, der zahlen kann.
Also suchte er Freiheit in längst gefällten Urwäldern, wo sie einst Zuflucht
gefunden hatte. Also rief ich meinem Lehrer Döblin nach. Also feierte er den
toten Bruder wie sein besseres Ich: »ihm gewährte freude und beruhigung sich
in der arbeit gehen, umschauend von ihr erheitern zu lassen, meine freude und
heiterkeit bestand eben in der arbeit selbst.« Zugleich aber war er
gedankenflüchtig, der akademischen Versammlung abhanden gekommen und anderswo
zu finden.
Ich
werde ihn suchen. Ahne ich doch, wohin Ausflüchte führen, die auch mir offen
sind, während ich freiweg rede und rede...
Vermutlich
sah sich Jacob, während er vom Podest weg sprach, wenn nicht in seiner
Studierstube, dann wie gewohnt im Tiergarten und zwar
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