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Grass, Guenter

Grass, Guenter

Titel: Grass, Guenter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grimms Woerter
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halte er nicht
viel davon, jedem Wort Herkunft aus dem Latein, noch früher, aus dem Sanskrit
nachzuweisen. Ausdrücklich berufe er sich auf Menschen, »die ihr geburtsjahr
nicht wissen, ohne an ihrem werte das mindeste einzubüssen«.
    Ich
weiß nicht, ob es mir gelang, meinen Banknachbarn zu beruhigen. Jacob schwieg
vor sich hin, wollte nur als Zuhörer anwesend sein. Also redete ich auf den
Verstummten ein, indem ich von Hildebrands Übereinstimmung mit den
Grimmbrüdern berichtete und das von ihm genutzte Goethe-Zitat wiedergab: »so
sehr zu wünschen ist, dasz uns der ganze deutsche Sprachschatz durch ein
allgemeines Wörterbuch möge vorgelegt werden, so ist doch die praktische
mittheilung durch gedichte und schrift sehr viel schneller und lebendig
eingreifender.«
    Um
diese These zu stützen, hat sich der Korrektor und nunmehr Herausgeber auf Jean
Paul berufen, »man könnte aus Fischarts werken allein ein Wörterbuch erheben«,
weshalb denn auch, fügte ich hinzu, in der Grimmschen Ansammlung so häufig
aus dessen Gargantuaübersetzung und in Nachfolge aus dem Simplicissimus des
Grimmelshausen zitiert werde.
    Mein
Banknachbar reagierte immer noch nicht. Er saß wie von Ludwig Emil in Kupfer
gestochen: schön im Profil. Nur als ich beiläufig erwähnte, daß Hildebrand
nicht bei Goethe und Schüler Schluß mache, sondern Zeitgenössisches, sogar
Heinrich Heine zitiere, glaubte ich, ein jähes Erschrecken an meiner Seite zu
bemerken. Kurz danach saß ich allein, hörte aber nicht auf zu brabbeln,
sinnlos, umsonst, allenfalls tauglich als Lebensbeweis.
     
    Rudolf
Hildebrand beschließt sein Vorwort zum Buchstaben K mit einem Bekenntnis zu
Goethes »gegenständlichem denken« anstelle des »krankhaften abstracten
denkens«. Er beruft sich zugleich auf Jacob Grimm, der »in seiner grammatik den
weg jenes gegenständlichen denkens auf dem Sprachgebiete« betreten habe. Dann
aber spuckt ihm das Zeitgeschehen in die Suppe, jedenfalls verschlägt ihm die
Politik das »gegenständliche denken«. Zwei Jahre nach der Reichsgründung
schreibt er: »das wiedererstehen der nation hängt in der that an dem gedeihen
und der Wirkung der deutschen philologie überhaupt und nicht am wenigsten unseres
Werkes. Staatskunst und kriegskunst und tapferkeit haben endlich dem kranken
und verkümmerten bäume der nation wieder Spielraum und luft und licht
geschaffen.«
    Das
wäre Jacob kaum aus der Feder geflossen. Oder doch? Hätten sich die Grimmbrüder
über die von ihnen oft beteuerte Liebe zum Vaterland hinaus dergestalt
hinreißen lassen, jene kurz nacheinander der Reichsgründung dienlichen Kriege
zu preisen, die nach Bismarcks Willen gegen Dänemark, Osterreich und Frankreich
geführt wurden?
    Ich
weiß keine Antwort, will aber das Stichwort Krieg im K-Band des Wörterbuchs
suchen: gleich nach Kriechsucht ist es zu finden.
    Anfangs
steht es für kriegerisches Werkzeug, etwa für die Spannbank der Armbrust, dann
erst für bellum, ist aber in germanischen Sprachen nicht nachzuweisen. Erst im
»Tristan« und anderen mittelalterlichen Versdichtungen wird kriec im Sinn von
Widerstand geschrieben. Oft meint es Zweikampf, »krieg bis aufs messer« und
Wettstreit jeder Art, so den Sängerkrieg auf der Wartburg. Ehezwist wird zum
Ehekrieg.
    In
früher Zeit ist noch, wenn es kämpferisch gegeneinander zugeht, von urliuge,
auch orleuge und orloch sowie orlog die Rede. Doch dann setzt sich der Krieg
als Kriegswesen durch. Mit ihm wird ein Land überzogen. Er nährt sich
selbsttätig. Man kann zu ihm hetzen, ihn entfesseln, in ihm sein, ihn wie
gewöhnlichen Streit vom Zaun brechen. Es heißt: »krieg ist bald gemacht, aber
langsam geendet«. In Schillers »Wallenstein« besteht die Absicht, »den krieg zu
tragen in des kaisers länder«. Religionskriege gibt es, den Freiheits- oder
Befreiungskrieg, Angriffs- und Verteidigungskriege, nicht zu vergessen:
Erbfolgekriege. Mangelt es an äußeren Feinden, bieten Bürgerkriege Ersatz.
    Er
findet im Gebirge, zwischen Schiffen, auf der Krim, zur Zeit in Afghanistan
statt. Vom kleinen Grenzkrieg weitet er sich zum Weltkrieg. Es heißt: »der
krieg verschlingt die besten.« Wortstreit kann zum Wörterkrieg führen. Mit
jemandem auf Kriegsfuß stehen. Wie man der Liebsten die Liebe, kann man dem
Nachbarn über die trennende Hecke weg den Krieg erklären. Und nach Luther war
es »ein wunderlich krieg, da tod und leben rungen. das leben behielt den sieg,
es hat den tod verschlungen.«
    Auch
ist der

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