Grass, Guenter
Mattscheiben, Fotos, schwarzweiß
oder farbig, in einigen Regionen unseres globalen Dorfes sogar als Poster
überliefert. Er, überlebensgroß. Wo immer er auftrat, sah ihn die Welt. Wie er
Hände schüttelt, Kinderköpfe streichelt, Paraden abnimmt, mit einer güldenen
Maschinenpistole beschenkt wird, sich selbst als Denkmal einweiht.
Freunde
und Feinde sind darin einig: er ist fotogen. Selbst später noch, als man ihn
aus einem Erdloch zieht, gibt er struppig und ungewaschen ein Bild ab. Desgleichen,
doch nunmehr gepflegter, wie er als Massenmörder vor Gericht gestellt ist und
das Böse zu verkörpern hat.
Als
er aber zuletzt, und nachdem das Urteil verkündet worden war, keine verhüllende
Kapuze tragen will, also ungeschützt auf die Falltür starrt, kommt nicht er
unterm Galgen ins Bild, sondern ergeben der Strick als Schlinge und darüber der
mächtige Knoten ein Stilleben.
Was
sich, weil gegenständlich und faßbar, eingeprägt hat: Galgen, Strick und Knoten
waren sehenswerter als sein verbrauchter Anblick.
Zwar
kannten wir diese Dreieinigkeit aus Wildwestfilmen, in denen Pferdediebe,
Bankräuber und sonstige Revolverhelden an Galgen oder Bäumen - bei Luther noch
»grüner galgen« genannt - gehängt werden, aber diesmal kam uns der Knoten
besonders vor: anschaulich zu massiver Größe, zum Kunstwerk, zum absoluten
Knoten getürmt. Der war nicht geknüpft worden wie jener, von dem es in Lessings
»Minna« heißt, »als ob der knoten sich nicht von selbst bald lösen müszte«.
Deshalb
stellte sich manch einem - und mir gewiß - die Frage, wem sonst noch außer
Saddam könnte ein so kunstvoller Knoten samt Schlinge als Halsschmuck
zugedacht werden? Wer außer Saddam hätte ihn verdient? Etwa all jene, die ihm,
weil dem Olgeschäft dienlich, die Hände geschüttelt, ihn mit Waffen aller
Kaliber aufgerüstet, zudem mit Giftgas und sonstwie wirksamen Chemikalien
versorgt haben, damit er den nachbarlichen Feind, der vor Saddam als das Böse
ins Bild kam, besiegen möge?
Da
wir uns aber nach so viel Tod im Namen der Freiheit mit dem einen Erhängten
zufrieden gaben und im Prinzip, weil mittlerweile gesittet, gegen den Vollzug
der Todesstrafe sind, erschraken wir heftig, als bald nach der Vollstreckung
des Urteils drei Kinder sich selbsttätig erhängten. Davon stand beiläufig in
den Kurznachrichten zu lesen: Knoten, Strick und Schlinge wurden, wenn auch
weniger kunstvoll geknüpft, von Jugendlichen nachgeahmt.
In
Houston, Texas, nahm sich ein Zehnjähriger an dem, was Amerikas Fernsehen an
beweglichen Bildern zu bieten gehabt hatte, ein Beispiel und opferte sein Leben
stellvertretend für seinen feixenden Präsidenten. Neun Jahre alt war ein Junge
aus Pakistan, der sich die Schlinge unter dem Knoten um den Hals legte. Und
nicht älter als zwölf wurde ein Knabe in Saudi-Arabien. Beide folgten ihrem
Idol.
Kein
Foto zeugt davon. Namenlos alle drei. Mehr oder weniger geschickt werden sie
den Knoten geknüpft, die Schlinge gelegt haben. Dann sprangen sie vom Tisch,
Stuhl oder Eimer, hingen jeder für sich.
Nach
dem Knoter, wie man vormals einen Kapuzinermönch mit Knotenstrick um die Kutte
nannte, folgte die Pflanze Knöterich und bald das Knötlein. Schneller als
Weigand mit dem vierten Band kam Hildebrand mit dem fünften zu Rande. Er reicht
von K bis Kyrie, schloß also den Knoten zum Galgenstrick ein, zu dem ihm noch
Jacob einen Zettel hatte zukommen lassen, auf dem es aber nur mit einem
Voss-Zitat nach Virgil um den Haarknoten ging.
Und
andere Stichwörter wurden, während er noch dabei war, das F zu melken, nach
Leipzig geliefert. Er fütterte Hildebrand sozusagen, so daß ich Grund habe,
abermals den älteren Grimmbruder auf eine Tiergartenbank zu bitten, ihn
halblaut zu beruhigen: er könne sich auf den Korrektor verlassen. Mit ihm
bleibe jemand dem Wörterbuch verbunden, den man als Ziehsohn der Grimms
ansehen dürfe. Treu ergeben und doch kritisch habe er mit seinem Vorwort zum
K-Band Anhänglichkeit bewiesen. Jadoch, peinlich genau folge er der von den
Brüdern verordneten Kleinschrift. Auch bleibe es beim sz beim kusz. Allerdings
lasse er sich von Personen anregen, die in zurückliegender Zeit mit ihren
Wörterbüchern Vorarbeit geleistet hätten und die Jacob abgetan habe, etwa
Schottel und Adelung. Er, Rudolf Hildebrand, sehe sich selber als Philologe,
wolle aber nicht als Germanist gelten, vielmehr stehe bei ihm zu lesen,
»germanistik, germanist ist und bleibt mir barbarisch«. Auch
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