Grass, Guenter
wie nun ich auf einer Bank gegenüber
der Rousseauinsel auf die Brüder warte, sie ohne Echo mit Stichwörtern locke,
dem L den Laut, das Leben abgewinne, es zur Liebe überrede, leise Kinderlieder
lalle: Lirum larum Löffelstiel, dann aus nie und nimmermehr, das in Märchen zu
finden ist, auf niemals komme, auf niedrig, den Niederschlag, die Niederlage,
die den Grimms im Plural geläufig gewesen ist; wie ich Niederlagen gesammelt
habe, mich durch Niederlagen beleben ließ, was auch von den nächsten zu hoffen
bleibt.
Oder
ich versuche es mit dem übersprungenen Buchstaben I, dem höchstlautenden der
Vokale, rufe da!«, wie der Esel ruft, dann »Jajacob!«. Ich imaginiere ihn,
zitiere ihn mit von I-Pünktchen verzierten Sätzen herbei, komme von Jammer auf
Jubel; und schon ist mir, als sitze er neben mir auf der Tiergartenbank.
Ich
rede auf ihn ein, will ihn ermuntern. Es geht ja weiter, sage ich, auf Hirzel
ist Verlaß, gleichfalls auf Hildebrand, der nicht vom K abläßt. Und Weigand,
treu ergeben seinem Idol, wird sich bestimmt an die Kleinschreibung, an alle
anderen strengen Vorgaben halten und sogleich nach der letzten Eintragung
Frucht beim F bleiben. Matthias Lexer, im Mittelhochdeutschen bewandert, wird
bald hinzukommen. Und alle sind euch, den Brüdern Grimm, den Grimmbrüdern, Grimms,
den Urhebern ergeben bis hin zum Semikolon nach jedem Zitat...
So
war es: die Arbeit wurde fortgesetzt, wenn auch zögerlich, was den vierten
Band betraf, der erst fünfzehn Jahre nach Jacobs Tod erschien; doch immerhin
wird unterhalb der 259. Spalte und dem Stichwort Frucht mit einer kleingedruckten
Fußnote seiner gedacht: »mit diesem worte sollte Jacob Grimm seine feder von
dem werke leider für immer niederlegen, das übrige bis zu ende des so weit geführten
buchstabens ist meine arbeit.«
Unterzeichnet
hat diesen einzigartigen Nachruf Karl Weigand, sein blindlings folgsamer
Fürsprecher. Der ihm anvertraute Band geht vom F zum G über, dem gelinde
stummen Kehllaut, der die Mitte einnimmt zwischen dem härteren K und dem mit
Hauch gesprochenen CH.
Hirzel
hatte nach Jacobs Tod offenbar keine Bedenken, den erklärten Antisemiten als
Mitarbeiter zu gewinnen. Vielleicht, weil ihm dessen Polemiken gegen den Wörterbuchkritiker
Daniel Sanders nicht nur verjährt erschienen, sondern weil Weigand wie Hildebrand,
nunmehr im Wettstreit miteinander, bereit waren, dort, wo sich Sanders' Kritik
als berechtigt erwies, diese zu berücksichtigen. So wurden als Zitatspender
Autoren aufgenommen, die Jacob übersehen oder mißachtet hatte.
Der
Verleger schätzte auch Weigand als »gelehrtes Haus«, der, mit Hildebrand
übereinstimmend, in der Einleitung zum Buchstaben G darüber klagte, daß die im
16. Jahrhundert beliebte Schreibung von bergk und burgk späterhin zwar zu
recht ausgemerzt und so die »häszliche Schreibung« bekämpft wurde, »doch hätte
man das g auswerfen sollen, nicht das richtige k.«
Spaltenlang
geht es weiter bis zum gedoppelten g in dogge, baggern, flagge, um dann auf
gaban als erstes Stichwort zu kommen, das Regenmantel aus Filz bedeutet und
noch heute als Bekleidung bekannt, doch kaum sprachüblich ist.
Später
führt der Buchstabe zu allem, was der vorlautenden Silbe ge folgt. Nach dem
Heinezitat »o ich kenne das geflunker künftiger Unsterblichkeit« und Geflüster,
wozu sich Pappelgeflüster, zudem - nach Schiller - Schauernachtgeflüster
gesellen, seien noch zwei verschollene Wörter als Eintragungen genannt:
Geflüte und Geflützert. Dem schließt sich Gefolge mit eineinhalb Spalten
Einführung an, darin das Goethe-Zitat »die Wohnungen der gesandten und ihres gefolges«,
mit eher kurzem Schwanz von Folgewörtern wie Gefolgschaft, Gefolgschaftsführer
und Gefolgsmann, die mir, sobald mich meine jungen Jahre einholen, schrecklich
geblieben sind, weil ihnen zufolge auch ich als gefolgstreuer Hitlerjunge auf
Gefolgschaft bis in den Tod eingeschworen wurde.
Schnell
setze ich deshalb zum Sprung an vom G, dem vier Bände kaum genug sein wollten,
über die vernachlässigten Buchstaben H, I, J, entferne mich vom Galgen,
gotisch galga und redensartlich, »wer zum galgen geboren ist, ersäuft nicht«,
komme abermals dem K nahe, um das sich nach wie vor Hildebrand kümmert, der
mittlerweile beim Stichwort Knoten ist, wozu mir eine Geschichte taugt, die
erzählt werden will, nicht nur weil sie anschaulich vom Galgen und vom Knoten
zugleich handelt.
Es
ging um ein Monster. Dessen Gesicht wurde auf
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