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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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einem Marmeladenglas und zeigte uns einen weißen Hundertfüßler, der fünfzehn Zentimeter lang und dicker als ein menschlicher Daumen war. »Diese Tierchen hier sind in letzter Zeit auch zu einem Problem geworden«, sagte er, »und wir haben keine Ahnung, was das ist.«
    Ich sah mir den Strichcode auf dem Rücken an.
    »Phylum: Arthropode, Klasse: Chilopoda«, murmelte ich, nicht weiter erstaunt. Die beiden Männer sahen mich überrascht an.
    »Ich kann Strichcodes lesen«, erklärte ich. »Das hat mir mein Mentor Greg Scarlet beigebracht. Ich kann Ihnen nur sagen, dass es sich um einen Hundertfüßler handelt, weiblich, etwa sechstausendste Generation nach der Etikettierung, mehr weiß ich leider auch nicht.«
    »Ein nützliches Talent«, sagte Mr Limone, der beeindruckt war. »Sie schließen also daraus, dass es unbekannt ist.«
    »Ja.«
    Der Gärtner wischte sich mit einem schmutzigen Taschentuch die Stirn.
    »Das sagt Amaranth auch. Wenn es nicht in Munsells Bestiarium verzeichnet ist, gilt es offiziell als Apokryph, aber ignorieren können wir das Zeug auch nicht, weil es sich durch alles durchfrisst. Hätten Sie einen Vorschlag, Mr Turquoise?«
    Sorgfältig untersuchte der Blaue Präfekt den Plagegeist, der sich auf Mr Limones Hand krümmte und einige sehr hohe quiekende Töne in F-Dur von sich gab.
    »Kann man sie essen?«
    »Das haben wir noch nicht probiert.«
    »Besorgen Sie sich einen Grauen Freiwilligen. Wenn die Tiere nicht schmackhaft sind, kann ich sie nach Regel 2.3.23.12.220 trotzdem als ›landwirtschaftlich angebaute Lebensmittel‹ deklarieren. Dann können wir sie fangen, braten und wegwerfen. Falls sie doch schmackhaft sind, verfüttern Sie sie an die Grauen. Dann lassen sie uns wenigstens morgens noch etwas von dem Schinken übrig.«
    Mr Limone war begeistert über diese Schlupflochsophistik. Wir verabschiedeten uns, verließen das Gewächshaus durch den Südausgang und machten uns auf den Weg zur Abfallfarm.
    »Kommen wir als Nächstes zu den Aktivitäten«, sagte Turquoise, der sich jetzt ebenfalls mit einem Taschentuch die Stirn wischte. »Sport und Tanz sind natürlich Pflicht. Spielen Sie lieber Cricket oder Fußball?«
    Ich sagte, ich würde Cricket vorziehen, ließ aber mein besonderes Talent als Batsman unerwähnt. Alpha-Rote konnten den natürlich roten Ball deutlich besser sehen, was ihnen einen Vorteil verschaffte. Man tat gut daran, einige Bälle zu verpassen, wenn man seine Gabe verleugnen wollte.
    »Und Ihr Lieblingstanz?«
    »In Jade-unter-der-Limone haben wir oft Lambada getanzt.«
    Turquoise war schockiert, obwohl ich ihn nur aufziehen wollte. Ich hatte noch nie Lambada getanzt, nicht mal insgeheim für mich allein.
    »Absolut unangemessen, Master Russett. Hier in Ost-Karmin tanzen wir Foxtrott oder Rumba. Gelegentlich ist auch der Tango erlaubt, aber nur für eingetragene Paare und nicht in Gegenwart von Junioren. Wie steht es mit Freizeitaktivitäten? Bienenhaltung? Fotografie? Reenactment-Gesellschaften? Schneckenrennen?«
    »Schnecken kann man doch nicht gegeneinander antreten lassen.«
    »Aber ja doch. Es ist sogar ziemlich beliebt hier im Rotsteingebirge. Schnecken sind auf strikte territoriale Begrenzungen vorprogrammiert, sodass sie sich von Gärten fernhalten. Man braucht also nur den Strichcode irgendeiner Schnecke zu protokollieren und sie außerhalb von Zinnober auszusetzen. Die erste, die zurückkommt, hat gewonnen.«
    »Das kann dauern.«
    »Manchmal Jahrzehnte. Ein Champion, den mein Vater vor achtzehn Jahren ausgesetzt hat, dürfte in ungefähr zwei Jahren sein Ziel erreichen.«
    »Ich hatte keine Ahnung, dass Schnecken überhaupt so lange leben.«
    »Es ist nicht die ursprüngliche Schnecke«, erklärte er. »Die Befehlsfolge für Territorialität setzt sich in der Nachkommenschaft fort, wir brauchen also nur den Strichcode auf den Schnecken abzulesen, wenn sie einlaufen, ihr Erbgut lässt sich schnell feststellen. Für einen Kilometer muss man zweieinhalb Generationen rechnen, wie mir Mrs Lapis-Lazuli bestätigt hat. Es ginge auch schneller, aber Schnecken lassen sich leicht ablenken. Also, wofür soll ich Sie eintragen?«
    »Das spricht mich alles nicht sonderlich an, Sir.«
    »Jetzt hören Sie mal, Russett. Für irgendwas muss ich Sie eintragen.«
    »Na gut. Dann für die Fotografische Gesellschaft. Aber nach Regel 1.1.01.23.555 möchte ich viel lieber selbst eine Vereinigung zum Wohle des Kollektivs gründen.«
    »Verstehe«, sagte Turquoise, misstrauisch

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