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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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abspenstig zu machen.
    Ich ging nach oben und legte Constance’ Telegramm zu meiner Sammlung. Es war eine bescheidene Sammlung, weniger von Briefen, die unsterbliche Liebe versprachen, als vielmehr solchen, in denen sie mich um einen Gefallen bat oder mir sagte, ich solle mir Roger Marone zum Vorbild nehmen. Ich hatte sogar schon daran gedacht, die Briefe zu verbrennen, doch pflichtbewusst, wie ich war, legte ich alles zu den Akten. Ganz im Sinne von Unserem Munsell, der einmal gesagt hatte, ohne Akte stünde man nackt im Leben da.
    Als ich am Badezimmer vorbeikam, bemerkte ich, dass die Tür hin- und herpendelte, was mir irgendwie komisch vorkam, denn es wehte kein Lüftchen im Haus, und auch draußen war es windstill. Ich hielt inne, und die Tür hörte auf zu pendeln. Ich war der Einzige im Haus, und der Apokryphe Mann konnte es nicht sein, den hatte ich vorm Betreten des Hauses noch auf dem Marktplatz gesehen, wie er in einer Ecke gerade ein Abflussrohr anbrüllte.
    »Hallo?«
    Keine Antwort. Behutsam drückte ich gegen die Tür. Sie ließ sich leicht öffnen, einen Spaltbreit, dann blockierte etwas. Nicht so, als drückte man gegen etwas Starres, einen Stuhl etwa, es war eher so, als würde auf der anderen Seite eine Hand sanft nachgeben. Hinter der Tür stand jemand. Im ersten Moment dachte ich, es könnte Jane sein, die sich doch noch zu dem Entschluss durchgerungen hatte, mich zu töten. Doch nach einigem Nachdenken wurde mir klar, dass es absolut nicht ihrem Stil entsprochen hätte, sich mit einem Beil hinter der Badezimmertür zu verstecken.
    »Ist da jemand?«
    Wieder keine Antwort, und dann fiel es mir ein: Vielleicht war es der Mitbewohner des Apokryphen Mannes, den ich gestern Abend oben hatte rumoren hören.
    »Wohnen Sie oben?«, fragte ich, und der Angesprochene klopfte einmal, was ja bedeutete. Ich fragte, ob ich ihn sehen dürfe, doch er klopfte zweimal eindringlich an die Tür, also nein. Gerade wollte ich eine etwas kompliziertere Frage formulieren, als ich jemanden die Treppe heraufstapfen hörte. Entweder der Colormann oder der Apokryphe Mann, aber nein, es war Mr Turquoise, der Präfekt!
    »Mr Turquoise!«, sagte ich. »Guten Tag.«
    Ich spürte, wie sich die Badezimmertür langsam hinter mir schloss.
    »Guten Tag, Master Russett«, sagte Turquoise geschäftsmäßig, »die Haustür stand offen, deswegen habe ich mir erlaubt einzutreten. Sie haben doch nichts dagegen, oder?«
    »Ganz und gar nicht, Sir.«
    »Braver Junge. Wie kommen Sie mit der Stuhlzählung voran?«
    »Ich habe noch nicht angefangen.«
    »Ist ja auch noch viel Zeit. Darf ich mal Ihre Toilette benutzen?«
    Er ging auf die Tür zu, doch ich versperrte ihm den Weg.
    »Nein!«
    »Wie bitte?«
    Ich überlegte rasend schnell. Wir kannten die Wahrheit über unseren Mitbewohner nicht, aber wie immer sie ausfiel, es wäre auf jeden Fall besser, sie ohne Beisein irgendeines Präfekten zu erfahren.
    »Sie ist … äh … kaputt. Irgendwas an dem Spülkasten.«
    Er lachte.
    »Ich will mir nur die Hände waschen.«
    »Das Waschbecken ist auch kaputt.«
    »Beides kaputt?«
    »Ja, Sir. Muss an der Kaltwasserversorgung liegen.«
    »Dann benutze ich eben den Warmwasserhahn.«
    Schnell was ausdenken, um ihn abzulenken.
    »Sind Schubkarren eigentlich aus Bronze?«
    »Was?«
    »Ich frag ja nur.«
    Er schüttelte den Kopf und zwängte sich an mir vorbei. Die Tür ließ sich ohne Widerstand öffnen, und Turquoise schritt forsch zum Waschbecken. Der Duschvorhang, sonst immer zur Seite geschoben, war einmal ganz um die Wanne herumgezogen, und ich konnte den vagen Umriss einer Gestalt dahinter erkennen. Turquoise fiel er nicht auf.
    »Der kalte Hahn funktioniert, Russett.«
    »Ah, war dann wohl nur eine Sperrung.«
    »Ja«, sagte er und trocknete sich die Hände. »Also, ich bin verantwortlich für Berufsberatung, organisiertes Singen, das Beschäftigungsverzeichnis und die Zuweisung von Nützlicher Arbeit. Können wir ein bisschen spazieren gehen und uns dabei unterhalten? Ich muss die Schwungkraftrennmaschine auf ihre Rücksprungkonformität überprüfen. Fandango will kommende Woche damit auf der Gute-Laune-Messe des Roten Sektors in Zinnober das Rennen fahren, und es macht sich nicht gut für das Dorf, wenn er mit einem Gerät ankommt, das bei der Jury durchfällt.«
    Ich willigte ein, und wir gingen nach unten, durch die Haustür nach draußen und überquerten den Marktplatz. »Hier«, sagte Turquoise und zeigte mir den sorgfältig

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