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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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geworden. Regel 1.1.01.23.555 war ihm gut bekannt. Sie war eines der Schlupflöcher, das über die Jahre regelmäßig missbraucht worden war. »Und womit genau würde sich diese Vereinigung beschäftigen?«
    Ich dachte an Jane, die mich, um ihre eigenen Aktivitäten zu tarnen, zur Neugier animiert hatte.
    »Es wäre ein Frage-Klub.«
    »Einen Frage-Klub gibt es schon. Er nennt sich Debattiergesellschaft. Zufällig trifft sie sich heute Abend.«
    »Ach ja?«
    »Reine Zeitverschwendung. Eine Stunde Puzzlespiel wäre gewinnbringender. Wenn wir nicht mal langsam damit vorankommen, kriegen wir das Puzzle zu Lebzeiten nicht mehr geschafft, und ich muss gestehen, dass ich gerne wüsste, was es ist, bevor sie mich ins Grüne Zimmer karren.«
    Wir waren an der Abfallfarm angekommen, die wie üblich wegen der Kanalisation tiefer lag als das jeweilige Dorf, zu dem sie gehörte. Wir fanden den Vorarbeiter an einem der abgeschalteten Absetzbecken, das gerade zu Reinigungszwecken ausgeschabt wurde. Er war ein Mann mittleren Alters, von kleinem Wuchs, hatte ein wettergegerbtes Gesicht und pfiff beim Sprechen, da vorne ein Zahn fehlte, der aus irgendeinem Grund nicht nachgewachsen war. Wie die meisten in der geheimen Kunst des Recyclings Versierten war auch er ein Exzentriker. Er trug eine Melone und einen dreiteiligen Anzug mit einer Gardenie im Knopfloch. Ich konnte kein Farbkennzeichen an ihm entdecken, auch sonst keinen Hinweis auf seinen Platz in der chromatischen Hierarchie, was mir die Entscheidung, ob ich herablassend oder förmlich mit ihm zu reden hatte, nicht gerade erleichterte.
    »Hallo!«, sagte der Vorarbeiter, der seinen Namen einfach mit Nigel angab. »Ich habe gehört, Sie sind heute Morgen mit einem Baum aneinandergeraten.«
    »So kann man es auch ausdrücken.«
    »Sie brauchen sich nicht dumm vorzukommen, nur weil ein Baum Sie ausgetrickst hat. Wer das nicht schon mal mitgemacht hat, gilt hier nichts: in den Wald spaziert, nur um plötzlich am Fußgelenk gepackt, in die Luft geschleudert und in Hektoliter Verdauungssaft geworfen zu werden, in dem noch eine halbe Antilope schwimmt. Ist mir auch schon passiert.«
    Ich schaute mich um.
    »Der Gestank ist gar nicht so schlimm, wie ich gedacht hatte.«
    »Allein die Vorstellung!«, empörte sich Nigel. »Alle Gruben sind versiegelt. Wenn Sie etwas riechen können, dann heißt das, dass wir unsere Arbeit nicht ordentlich gemacht haben. Aber wenn Sie schnuppern wollen, wie es riechen könnte , dann kommen Sie mal mit und stecken Ihre Nase in den Ausschmelzungsschuppen.«
    Turquoise blieb im Büro, um zu überprüfen, ob das Recyclingsoll von 87,2 % erreicht wurde, und Nigel führte mich, vorbei an den Methanverfestigern, zu einem Backsteinbau. Die Luft hier war erfüllt von dem durchdringenden Geruch erhitzter Innereien. Im Gegensatz zu dem heruntergekommenen Äußeren des Schuppens war es innen drin sauber und ordentlich, die Ausstattung aus Stahl auf Hochglanz poliert. Der Betonfußboden sah aus, als würde er häufig abgespritzt, und zwei Arbeiter der Farm waren damit beschäftigt, den Schredder, der von einem Everspin angetrieben wurde, mit tierischen Abfällen zu füllen. Siedekessel und Presse befanden sich auf einer Seite, und während die Maschine den Abfall erhitzte und zusammendrückte, um das Fett zu extrahieren, troff langsam eine zähe, klebrige Substanz – offenbar gelb – in einen Eimer.
    Ich hielt mir ein Taschentuch vor Mund und Nase.
    »Es erfordert mehr Geschick, als man meinen sollte«, sagte Nigel mit einem Lachen. »Die Ausschmelzer erhalten eine Zulage, wenn sie einen Dorfbewohner verarbeiten müssen – eigentlich unnötig, wirklich, es ist ja nur unsere Hülle. Aber ich bin nicht gefühllos, so ist es nicht. Bei Freunden oder Familienmitgliedern stelle ich sie vom Ausschmelzdienst frei.«
    Ich musste würgen bei dem faulen Gestank und torkelte nach draußen.
    »Nichts für sanfte Gemüter, was?«, sagte Nigel, der mir gefolgt war. »Wir haben momentan einen Überhang. Wir arbeiten gerade einen Elefanten ab, der zufällig diesseits der Außenmarkierungen tot umgefallen ist.«
    »Einen Elefanten?«, sagte ich ungläubig. »Ich habe gehört, da lohnte die Mühe gar nicht, der Talg sei minderwertig.«
    Nigel beugte sich zu mir.
    »Es geht um das Plansoll«, sagte er grinsend. »Ein Elefant treibt die Zahlen ordentlich in die Höhe.«
    Nachdem Turquoise das durch die Dickhäuterverwertung erreichte Plansoll abgesegnet und die monatlichen

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