Grau - ein Eddie Russett-Roman
aufmachen. Ist ja nicht mal gesagt, dass du überhaupt seine Tochter bist.«
Daraufhin fingen die beiden einen Streit an, in meiner Anwesenheit. Es war mir furchtbar peinlich. Imogen sagte, ihr Vater sei ein guter Mensch und »durch die Umstände gezwungen«, seine Tochter an den Meistbietenden zu versteigern. Dorian war eher ein Mann der Tat und machte finstere Andeutungen über irgendwelche »extremen Maßnahmen«, was ich nur so deuten konnte, dass sie gemeinsam fliehen wollten.
»Machen Sie keine Dummheit«, ermahnte ich ihn. »Durchbrennen scheitert immer, und manchmal landet man im Nachtzug.«
»Hat nicht Munsell selbst gesagt, dass wir von zwei Übeln immer das geringere wählen sollen?«, erwiderte Imogen. »Außerdem soll Smaragdstadt so groß sein, dass man als Paar Arbeit finden kann, ohne sich Fragen gefallen lassen zu müssen.«
»Genau«, sagte Dorian. »In der Stadt können wir untertauchen.«
»Sie würden nicht mal bis zur Abzweigung Kobalt kommen«, gab ich zu bedenken.
»Wir wollen uns falsche Farbkennzeichen anstecken. Einen Violetten zu befragen, das würde sich nicht mal ein Gelber trauen.«
Es war ein verrückter Plan, und das war den beiden auch klar. Paare, die sich aus emotionalen Gründen aus ihrem Heimatort absetzten, wurden immer zurückgebracht, aber Falschkennzeichnung war strafbar und wurde mit zehntausend Meriten geahndet. Faktisch Reboot, und dort wurden Paare grundsätzlich getrennt. Ihr Plan zeigte mir nur deutlich, wie verzweifelt sie sein mussten, und er erklärte, warum Dorian mir meine offene Rückfahrkarte hatte abkaufen wollen.
»Ohne Fahrkarten kommen Sie sowieso nicht weg.«
»Eine haben wir schon«, erklärte Dorian. »Was die andere betrifft, da verhandeln wir noch.«
»Courtland will mich deswegen im Wollgeschäft treffen«, sagte Imogen. »Aber die Rückfahrkarte übergibt er uns erst, wenn er die volle Geldsumme dafür erhalten hat.«
»Er hat gar nicht die Absicht, auf die Karte zu verzichten.«
»Ja, das wissen wir auch.«
»Mist.«
»Was ist?«
Ich sagte, es sei nichts, aber das war gelogen. Jetzt, nachdem ich Imogen und Dorian kennengelernt hatte, konnte ich Bertie Magenta unmöglich an Fandango vermitteln, was zur Folge hatte, dass ich auch die Provision von hundertzwanzig Meriten nicht erhalten würde. Ein ganzer Monatslohn, für ein einziges blödes Telegramm. Die schnellsten hundertzwanzig, die mir je entgangen waren.
»Passen Sie auf«, sagte ich. »Mein Cousin, der Colormann, fährt regelmäßig nach Smaragdstadt. Ich werde ein paar Nachforschungen anstellen und melde mich dann wieder bei Ihnen. Machen Sie keine Dummheiten, und gehen Sie nicht auf Courtlands Angebot ein.«
Die beiden sahen mich an.
»Warum tun Sie das?«
»Vielleicht, weil ich etwas für Sie erreichen will, was ich selbst nicht kriegen kann. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden. Meine Nützliche Arbeit wartet auf mich.«
Schule, Poesie, Co-op
2.1.01.05.002 : Kinder besuchen die Schule bis zum sechzehnten Lebensjahr oder so lange, bis sie alles gelernt haben, welcher Fall auch immer zuerst eintritt.
Die Schule lag am Rand des Dorfes, zwei Straßen hinter dem Rathaus, gegenüber der Feuerwehr. Die Unfehlbarkeit der Regeln schloss die Architektur von Schulgebäuden ein, folglich waren alle Schulen im ganzen Kollektiv identisch, da bis heute kein besserer Bautyp entworfen, geschweige denn errichtet worden war. Ich fand mich daher sofort zurecht, und der Ort kam mir seltsam vertraut vor.
In der Eingangshalle blieb ich neben der Munsell-Büste stehen und las die häufig zitierten Worte, den Leitsatz der Schule: »Jeder Schüler des Kollektivs wird die Schule mit überdurchschnittlichen Fähigkeiten verlassen.« Erst nach einem Kurs in höherer Mathematik erkannte ich, dass das ein Ding der Unmöglichkeit war, da per definitionem nicht jeder Mensch überdurchschnittliche Fähigkeiten besitzen konnte.
»Es handelt sich hier um einen historischen Durchschnitt, der kurz nach dem Großen Ereignis fixiert wurde«, hatte mir mein Mentor Greg Scarlet erklärt, als ich einmal gewagt hatte, das Thema anzuschneiden. »Wie wäre es sonst möglich, einen Jahrgang mit einem anderen zu vergleichen? Außerdem: Ein Durchschnittswert, der zu einer Zeit festgelegt wurde, als der allgemeine Bildungsstand noch erheblich niedriger war als heute, garantiert, dass kein Schüler jemals wegen schulischen Versagens stigmatisiert wird.«
In dem Punkt hatte er recht. Weil aber weder
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