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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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aufgenommen?«
    »Sie stand wieder von den Toten auf und sagte, sie wünschte uns die beige Pest an den Hals, dann starb sie ein zweites Mal.«
    Er zeigte mir das nächste Bild.
    »Das hab ich gemacht, kurz nachdem Jimmy von der Dreschmaschine erfasst worden war. Er hat geschrien wie am Spieß. Das größte Körperteil, das wir von ihm gefunden haben, war sein Bein.«
    Er zeigte mir ein Bild von dem Bein, das im Stoppelfeld lag, drumherum eine Meute neugieriger Dorfbewohner.
    »Daran erinnere ich mich. Das war schon mal auf den Mahnung-und-Warnung-Seiten des Spectrum .«
    »Danke«, sagte er bescheiden. »Für jedes abgedruckte Foto zahlen sie mir zehn Meriten und ein positives Feedback. Was sagen Sie hierzu?«
    Er zeigte mir ein Foto, das zunächst Stirnrunzeln bei mir auslöste. Es war von einem Mansardenfenster aus aufgenommen, deutlich zu erkennen waren das Rathaus und die Dächer des Dorfes. Nicht weiter ungewöhnlich, außer der Tatsache, dass der Himmel pechschwarz war, mit einer Serie kreisrunder weißer Linien, die von einem Punkt in der Mitte aus abstrahlten.
    »Wo haben Sie das aufgenommen?«
    »Draußen. Bei Nacht. Ich hatte die Kamera aufgebaut, weil ich versuchen wollte, Blitze zu fotografieren, aber dann bin ich eingeschlafen und habe den Verschluss offen gelassen. Was Sie hier sehen, ist das Ergebnis einer siebenstündigen Belichtung.«
    »Und was sollen diese Kreise am Nachthimmel?«
    »Ich weiß auch nicht, was das ist. Ein unerklärliches Phänomen. Dabei ist das Seltsame: In der Nacht hatte gar kein Mond geschienen.«
    Die Vorstellung, dass der Mond ein gewisses Maß an Licht reflektiert, war allgemein verbreitet. Für uns Menschen war dieses Licht zu schwach, um bei Nacht draußen etwas sehen zu können, doch für einige Tiere reichte es aus. Häufig fanden sich morgens an Stellen, wo tags zuvor nichts zu erkennen gewesen war, Spuren Nachtaktiver Bissiger Tiere. Ich selbst hatte mal im Lichtschein eines Blitzes eine Herde grasender Wasserschweine und ein Flusspferd gesehen. Dorians Foto jedoch legte eine gänzlich neue Sichtweise nahe, nämlich dass dann, wenn der Mond verblasst war, das Licht von einer anderen Quelle stammte, ein Licht, das ausreichte, Landschaft und Häuser sieben Stunden lang zu erleuchten, und dass dieses Licht von den seltsamen Kreisen am Nachthimmel kam, die er zufällig fotografiert hatte.
    »Darf ich das behalten?«, fragte ich.
    »Klar. Das nächste ist von dem gestrigen Unfall«, sagte er. »Hier.«
    Er gab mir die Aufnahme. Die Stimmung auf dem Foto war besonders markant – im richtigen Moment war durch eines der Fabrikfenster ein Lichtstrahl gefallen und beleuchtete auf sehr ansprechende Weise den abgetrennten Kopf des Opfers von hinten.
    »Der Ausschnitt gefällt mir«, sagte ich. »Besonders die Fenster, die sich in der Blutlache spiegeln.«
    »Vielen Dank.«
    In dem Moment tauchte unerwartet ein hübsches Mädchen auf. Ich saß etwas versteckt hinter Dorians Handkarren, deswegen sah sie mich nicht.
    »Schatzilein!«, sagte sie zu Dorian, und mir sank jeder Mut. Es war Imogen Fandango, und Dorian war offensichtlich die ›unpassende Verbindung‹, von der der Werkmeister gesprochen hatte.
    »Oh!«, entfuhr es Imogen, als sie sah, dass Dorian nicht allein war. »Master Russett. Ich habe gar nicht gesehen, dass Sie auch da sind. Eigentlich meinte ich ›Schatzilein‹ in abwertendem Sinn. Dorian und ich können uns in Wahrheit nicht ausstehen. Stimmt’s, Liebling?«
    Sie konnte mir nichts vormachen.
    »Ich verpetze Sie nicht«, sagte ich.
    Dorian rieb sich die Stirn, ihm war die Sache sichtlich peinlich, und Imogen umklammerte schüchtern seine Hand, nachdem sie sich umgesehen hatte, ob wir auch unbeobachtet waren.
    »Wir wissen nicht, was wir machen sollen«, sagte sie, offenbar erleichtert, dass sie ihre Sorgen mit jemandem teilen konnten. »Daddy hat im Spectrum inseriert und will sechstausend Meriten für mich haben. Wer ist dieser Purpurne, bei dem mein Vater Sie gebeten hat anzufragen?«
    »Ein Bekannter von zu Hause«, sagte ich unbehaglich. »Wahrscheinlich hat er gar kein Interesse.«
    »Ich bin erleichtert«, antwortete Imogen und schlug ihre großen Augen nieder. »Es gibt also noch Hoffnung. Vielleicht verliert Daddy ja die Lust und gibt doch seine Einwilligung zu unserer Hochzeit. Immerhin sagt er, dass er mich liebt.«
    »Der liebt an dir doch nur deine Purpurne Erbanlage«, murrte Dorian. »Wenn er mit Eiern handeln will, soll er doch eine Hühnerfarm

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