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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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Welt, so verdorben und unvollkommen sie ist, schöner wäre, wenn du in ihr bliebest.«
    »Das ist ein starkes Kompliment.«
    »Genieß es«, sagte sie. »Ich bin nicht freigebig damit.«
    Wir erreichten eine leichte Anhöhe im Talboden. Der Fluss bog ab in sein ursprüngliches Bett, und wir fanden uns in der ebenen, grasbewachsenen Rinne der alten Straße wieder, die in einen ausgewachsenen Buchenwald führte. Riesige Betonbrocken lagen hier herum, von der steten Kraft der Wurzeln in die Höhe gedrückt. Von den begehrten Farbresten war nichts zu sehen, über fünf Jahrhunderte angewachsener Blätterhumus, Bodenerde und Vegetation hatten jeden leichten Zugang zu ihnen wirkungsvoll versperrt. Die absurde Vorstellung, Altfarben würden hier herumliegen, man brauchte sie nur aufzuheben, war reines Wunschdenken. Hoch-Safran für den großräumigen Abbau zu erschließen wäre eine gewaltige Aufgabe. Von der Malve würde gar nichts anderes übrigbleiben, als in der Nähe von Hoch-Safran eine Trabantenstadt zu errichten und Chromatiker wochenweise dort hinzuschicken, um den Abraum zu sortieren, bevor er zum Endbahnhof in Ost-Karmin weitertransportiert würde. Die Gewinnung von Farbtönen würde viel Zeit benötigen und den Aufwand kaum lohnen. Schon aus diesem Grund würde Hoch-Safran vermutlich immer eine Schatztruhe bleiben, jungfräulich.
    »Courtland gewinnt ganz schön Vorsprung.«
    »Lass ihn«, sagte Jane und blieb stehen. Ich blieb ebenfalls stehen, und sie wandte sich mir zu.
    »Bist du bereit, mit dem Feuer zu spielen?«
    »Wenn es nicht zu brenzlig wird.«
    »So nicht. Entweder oder. Also, bist du bereit?«
    »Ich glaube ja.«
    »Glauben nützt hier nichts. Dein Leben wird sich in den nächsten Stunden radikal verändern, und ich will sichergehen, dass du nichts Dummes anstellst. Du musst wissen, dass es dort niemanden gibt, dem du vertrauen kannst, niemanden, mit dem du reden kannst, niemanden, auf den du dich verlassen kannst – außer mir . Wir tun das, was ich sage, oder wir lassen es ganz. Und wenn du versuchen solltest, auf eigene Faust zu handeln, oder mich verrätst, dann werde ich dafür sorgen, dass dir alle Wege zurück zu mir für immer verschlossen bleiben, darauf kannst du Gift nehmen. Ist dir klar, wie wichtig das ist?«
    »Ja. Aber da du mir schon mehrmals mit dem Tod gedroht hast, bin ich vielleicht ein bisschen abgestumpft.«
    »Na gut, wir brauchen also noch eine Portion Vertrauen. Ich werde dir jetzt etwas zeigen, das ich noch nie jemandem gezeigt habe. Sieh genau hin.«
    Sie trat näher an mich heran. Ich wusste ja, dass sie hübsche Augen hatte, aber wie schön sie wirklich waren, fiel mir erst jetzt auf. Von heller Tönung, aber mit einer merkwürdigen Corona um den Rand. Und während ich ihr in die Augen sah, bewegten sich ihre Pupillen, dehnten sich und nahmen an Umfang zu. Ich wollte erschrocken zurückweichen, doch sie hielt mich fest, bis ihre leeren Pupillen fast an das Weiße der Augen stießen und sie den grotesken, dumpfen, hohlköpfigen Ausdruck der Einstigen annahmen. Mir schauderte. Aber ich konnte nicht weggucken, und allmählich kehrten die Augen wieder in ihren Normalzustand zurück, bis die Pupillen, nachdem sie ein paarmal schnell hintereinander mit den Wimpern geklimpert hatte, wieder groß wie ein Stecknadelkopf waren.
    »Das ist ja unheimlich.«
    »Früher konnte das jeder, aber das ist schon sehr lange her. Und noch etwas: Tut mir leid, dass ich dir die Schubkarre in den Weg gestellt habe. Ich musste herausfinden, ob du einer von denen bist. Du hast auffallend viel Interesse gezeigt.«
    »Weil ich dich mag.«
    »Mich hat noch nie jemand gemocht«, sagte sie. »Da musst du schon entschuldigen, wenn ich misstrauisch werde.«
    »Jabez mochte dich.«
    »Jabez mochte meine Nase.«
    »Die mag ich auch.«
    »Ja, aber du magst auch, was drum herum ist. Das ist ein großer Unterschied.«
    »Wow!«, sagte ich, als endlich bei mir ankam, was sie mir soeben mitgeteilt hatte. »Du kannst nachts sehen?«
    Sie lachte mich an.
    »Sogar ziemlich gut. Bei Vollmond ist es fast so hell, dass man Tennis spielen kann. Ich glaube, ich bin die Einzige, von der sie es nicht wissen.«
    »Wer sind sie ?«
    »Diejenigen, die Ocker getötet haben. Diejenigen, die nach der Abenddämmerung kommen und vor der Morgendämmerung wieder weg sind.«
    »Gesindel?«
    »Nachtsehende. Die außerhalb und über allen Regeln stehen. Die letzte Bastion gegen Angriffe auf Munsells Doktrin.«
    »Wieso bist du dir

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