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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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so sicher, dass sie nichts von dir wissen?«
    »Weil ich am Leben bin. Willst du nun mit dem Feuer spielen oder nicht?«
    »Ich bin dabei«, sagte ich, tief Luft holend. »Aber warte noch. Wie … «
    »Gleich, mein Roter, gleich.«
    Sie lachte und küsste mich auf die Wange. Es schien etwas völlig Natürliches für sie zu sein, und ich war weder schockiert noch erstaunt. Aber das Schuldgefühl wollte nicht weichen.
    »Violetta hat einen starken Willen«, rutschte mir spontan heraus.
    »Solange es dir keinen Spaß gemacht hat.«
    »Sie war sehr aggressiv«, bemerkte ich nachdenklich. »So soll es doch eigentlich nicht sein, oder?«
    Sie zuckte mit den Achseln.
    »Ich habe nur gehört, dass es ziemlich Spaß machen soll.«
    »Eigentlich«, fügte ich, etwas beschämt zu Boden blickend, hinzu, »wollte sie nur einen Purpurnen Sprössling einheimsen. Mein Vater hat ihr heute Morgen den Ei-Farbton gezeigt – sie trägt mein Kind.«
    Jane sah mich neugierig an.
    »Und alles mit Einverständnis des Oberpräfekten?«
    »Bei einer Sterblichkeitsrate von hundert Prozent geht man nicht davon aus, dass ich heimkehre. Ich glaube, der Plan sieht vor, dass sie meinen Verlust gebührend betrauert und dann Doug heiratet. Er hätte nie erfahren, dass es nicht sein eigenes Kind ist.«
    Sie schüttelte traurig den Kopf.
    »Versteh einer die Purpurnen. Aber jetzt hör zu«, fuhr sie fort und kramte in ihrer Tasche, während ich dumm herumstand, »wir müssen ein paar Vorsichtsmaßnahmen treffen. Versuch, an nichts zu denken.«
    Sie holte ein kleines Döschen hervor, so eins wie Travis für sein Limone-Muster hatte. Sie klappte es auf, und die Farbe – ein freches Gordini-Blau – strömte geradezu heraus und zog mir in die Augen. Meine linke Seite wurde sofort gefühllos, um gleich danach zu brennen wie von tausend Nadelstichen.
    »Guten Tag!«, flötete eine muntere Stimme. Ich blinzelte mit den Augen, und vor mir stand ein junger Mann in einem ordentlichen grauen Anzug, auf dessen linker Brusttasche das Farbspritzer-Logo von NationalColor aufgestickt war. »Vielen Dank, dass Sie das Gordini-Protokoll NC7-Z aufgerufen haben. Bitte haben Sie etwas Geduld. Die Rekonfiguration ist im Gange.«
    »Ich sehe jemanden vor mir«, flüsterte ich und beugte mich hinüber zu Jane.
    »Immer mit der Ruhe. Guck einfach immer nur stur auf das Gordini-Muster, und sag Bescheid, wenn du die großen Hunde hörst.«
    »Bei etwaigen Unannehmlichkeiten während der Rekonfiguration«, fuhr der junge Mann in seinem fröhlichen Singsang fort, »wenden Sie sich vertrauensvoll an den Kundendienst, erreichbar unter (Notenfolge).« Er lächelte wieder. »NationalColor. Stets zu Ihrer Verfügung. Und nicht vergessen: Ihr Feedback an uns kommt Ihnen zugute.«
    Der Mann verblasste. Ich starrte unbeirrt auf das Gordini-Muster, so wie Jane. Das Kribbeln wie von Stecknadeln ließ nach und wurde ersetzt durch einen anderen Sinneseindruck, den Duft von frisch gebackenem Brot. Dann hörte ich die Stimme meiner zweifach verwitweten Tante Beryl, die über Katzen sprach, obwohl Katzen früher nie ein Thema für sie gewesen waren. Und zwischendurch Musik und der Geruch von Zwiebeln.
    »Mantovani.«
    »Ich höre Brahms. Nicht aufhören, auf das Gordini zu gucken.«
    Der Rand meines Blickfelds war gesäumt von allen Farben des Regenbogens, und dann, für einen aufregenden und viel zu kurzen Moment, konnte ich in Farbe sehen. Es war, als hätte sich die Welt in einen Colorgarten verwandelt, aber einen, der nicht nur die Farben der begrenzten CYM -Palette aufwies, sondern eine unendliche Bandbreite verschiedener Farbtöne, die sich gegenseitig in komplexer chromatischer Harmonie ergänzten und verstärkten. Sogar die Violetttöne jenseits der Skala konnte ich erkennen, Farben, die ich noch nie vorher gesehen hatte. Ich sah die Welt, wie sie eigentlich aussehen sollte.
    »Es ist … atemberaubend!«
    Dann hörte ich das Geräusch fließenden Wassers, meine Finger streckten sich krampfartig, und ich fing an, unkontrolliert zu blinzeln.
    »Sind die Hunde schon da?«
    »Nein. Ich blinzele noch.«
    Und dann kamen sie. Nervtötend jaulende und kläffende Terrier, während die Nervenbahnen in meinem Kopf dagegenhielten. Licht gegen Geräusche, Gerüche gegen Erinnerungen, Berührungen gegen Musik und Farbe gegen alles.
    »Gehen auch kleine Hunde?«, fragte ich.
    »Bleib dran.«
    Den kleinen Hunden schlossen sich mittelgroße Hunde an und schließlich das tiefe, kehlige Gebell großer

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