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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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aber damit lag ich gründlich daneben.
    »Information als Währung? Wofür? Um meine Zuneigung zu gewinnen?«
    Diese Reaktion hatte ich am allerwenigsten erwartet, aber Jane hatte recht – ich versuchte, mich bei ihr einzuschmeicheln. Sie war kein Mensch, den man leicht aufs Kreuz legen konnte, also versuchte ich es zur Abwechslung mal mit Aufrichtigkeit.
    »Ich finde, so etwas ist gemeingefährlich, und Melanie sollte Bescheid wissen, woran sie ist, mehr nicht.«
    »Das ist rührend von dir«, sagte sie, »aber bist du wirklich so unsäglich dumm, anzunehmen, dass Melanie darauf noch nicht selbst gekommen ist?«
    »Dann weiß sie also, dass das Versprechen eine Lüge ist?«
    »Natürlich weiß sie das. Wenn du achromatisch wärst, würdest du anders darüber urteilen. In der brodelnden Gosse von Ost-Karmin dem angehenden Gelben Präfekten als zweite Matratze zu dienen – damit hat Mel einen Coup gelandet. Wir setzen große Hoffnungen auf sie.«
    »Es dauert noch Jahre, bis er Präfekt ist«, hob ich hervor.
    »Es ist eine langfristige Strategie, Roter. Hast du jemals Opfer gebracht für das Wohl der Allgemeinheit?«
    »Ich habe mal drei Monate lang auf Pudding verzichtet, damit wir uns etwas 259–26–86 leisten konnten, um unsere Hortensien zu colorieren.«
    »Na dann«, sagte sie, »weißt du ja genau , was Melanie durchmacht.«
    »Das klingt sarkastisch.«
    »Das ist sarkastisch! Warum fährst du nach Rostberg?«
    »Um den Caravaggio zu beschaffen.«
    »Aus keinem anderen Grund?«
    Ich beschloss, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, Frage mit Gegenfrage.
    »Aus welchem Grund sollte ich sonst hinfahren?«
    Sie musterte mich misstrauisch und versuchte zu ergründen, wie viel ich wusste, wenn überhaupt.
    »Soll ich dir einen Rat geben? Fahr nach Hause. Du bist viel zu neugierig, und hier in Ost-Karmin führt Neugier nur in eine Sackgasse.«
    »Zum Tod?«
    »Viel schlimmer – Aufklärung.«
    »Klingt doch gut.«
    »Nein, du irrst dich. Glaub mir, für Leute wie dich ist der Zustand der Unwissenheit das Beste und Bequemste.«
    »Und wer sind Leute wie ich?«
    »Gehorsame Drohnen des Kollektivs.«
    Normalerweise galt so eine Bemerkung als Kompliment, doch aus ihrem Mund hörte es sich irgendwie wenig erstrebenswert an.
    »Willst du mir drohen?«
    »Ich warne dich nur«, sagte sie, und für den Fall, ich könnte auf die aberwitzige Idee kommen, sie fände mich auch nur ansatzweise erträglich, fügte sie noch hinzu: »Aus Gefälligkeit gegenüber deinem Vater.«
    »Würde sich diese Gefälligkeit auch auf eine Einladung zum Tee mit mir morgen Nachmittag erstrecken?«
    Ehrlich, ich weiß nicht, was mich geritten hatte, ihr diese Frage zu stellen. Wahrscheinlich der Wunsch, mir ihr Vertrauen zu erschleichen. Jedenfalls setzte ihre Antwort jedem Gedanken an Tee und Chelsea-Brötchen in absehbarer Zukunft ein Ende.
    »Eher steche ich mir die Augen aus. Und wieso hältst du deine Augenbrauen fest?«
    »Aus keinem besonderen Grund. Jedenfalls kann ich noch nicht so bald wieder nach Hause – von der Malve hat meine Rückfahrkarte eingezogen.«
    »Du hast sie abgegeben?«, sagte sie ungläubig. »Ich habe mich geirrt – du bist gar nicht so dumm, wie du aussiehst.«
    »Oh, danke.«
    »Das sollte kein Kompliment sein – du bist noch viel dümmer.«
    »Bitte«, sagte ich, »beleidige mich ruhig weiter. So werde ich hoffentlich immun dagegen. Was hast du eigentlich gegen unsere Ordnung? In fünf Generationen könnte deine Familie die Präfekten stellen. Würden sie sich dann auch noch über die Ordnung beklagen?«
    Meine Direktheit hatte sie überrumpelt, doch fing sie sich rasch wieder.
    »Wahrscheinlich nicht, aber ich hoffe, dass es die Grauen unter ihnen tun und dass meine Nachfahren so klug sein werden, ihnen zuzuhören.«
    »Die Schafe brauchen den Schäfer, und der Schäfer braucht die Schafe«, übernahm ich, ohne groß nachzudenken, die Worte Munsells. »Getrennt und doch vereint. Ohne irgendeine Form von Hierarchie geht es nicht. Die Purpurnen sind nicht hochmütig und überheblich, nur weil sie Purpurne sind, sondern weil sie an der Macht sind. Glaubst du, die Grauen wären anders, wenn die Rollen vertauscht wären?«
    »Ich will nicht, dass plötzlich die Grauen an die Macht kommen, genauso wenig wie die Gelben. Ich finde, dass alle gleich sein sollten. Gleiche Meriten, gleiche Regeln, gleicher Rang im Dorf. In einem Jahr ist ein Purpurner Oberpräfekt, im nächsten Jahr ein Grauer – oder von mir aus auch gar

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