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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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Staunen und Misstrauen sah sie mich an. Mein erster Gedanke war: Wie ist sie hierhergekommen? Beim Frühstück hatte ich sie zuletzt gesehen, keine anderthalb Stunden her, über zwanzig Kilometer von hier entfernt. Ohne einen Ford als Transportmittel wäre es ein Kraftakt, der nicht zu bewältigen gewesen wäre. Wie auch schon gestern ihre Fahrt nach Zinnober. Es war, als könnte sie von Ort zu Ort springen wie ein Puka.
    »Es hat wohl keinen Sinn, dich zu fragen, wie du es hierhergeschafft hast?«
    »Nein, keinen. Ehrlich, Roter: Du hast mich mit deiner schamlos lächerlichen Nummer reingelegt, von wegen ›verliebter Idiot‹ und so. Ich bin nämlich eigentlich nicht leicht hereinzulegen. Aber jetzt muss ich wissen, wer du bist, wie viel du weißt und was du mit der Information zu tun gedenkst.«
    Ich überlegte. Ich war ja schon froh, dass sie wenigstens etwas Respekt vor mir hatte, und solange sie glaubte, ich würde nicht mehr im Dunkeln tappen, würde sie mir vielleicht verraten, was sie und der Falschgekennzeichnete gestern tatsächlich in dem Farbengeschäft gemacht hatten. Oder besser noch, sie würde anfangen, mich zu mögen.
    »Tut mir leid, was mit Zane passiert ist. Er war offenbar ein guter Freund von dir.«
    »Vor zwei Tagen war er ein Freund. Nächsten Monat um diese Zeit ist er nur noch Talg, Methan und Knochenmehl. Wie lange weißt du schon Bescheid über ihn?«
    »Ach, schon eine ganze Weile.«
    »Weißt du noch mehr?«
    »Ich weiß über dich Bescheid – aber erst seit Zinnober.«
    »Und wem hast du von uns erzählt?«
    »Können wir uns nicht im Teehaus weiter darüber unterhalten?«, versuchte ich es mit etwas mehr Verbindlichkeit. »Ich habe gehört, im Gefallenen Mann backen sie hervorragende Scones – jedenfalls schmecken die besser als deine.«
    Sie ging nicht auf mein Angebot ein.
    »Ich würde mich lieber gleich hier und jetzt darüber unterhalten.«
    »Dann«, erwiderte ich, »solltest du mir vielleicht mal verraten, was du in dem Farbengeschäft zu tun hattest.«
    Sie versank kurz in Schweigen, schritt durch den Raum und berührte eine der Glühbirnen. Es war gar nicht nötig – sie suchte nur eine Position zwischen mir und dem Ausgang. Ich hatte die falsche Frage gestellt. Sie hatte daraus entnommen, dass ich nicht wusste, was sie dort zu tun gehabt hatte. Klüger wäre es gewesen, sie zu fragen: »Wie lange geht das schon so?« oder sogar: »Erzähl mir die ganze Geschichte, von Anfang an – und lass nichts aus.«
    »Arbeitest du für Stachel Gelbholz?«, fragte sie.
    »Ich bin nicht gerade ein Fan der Gelben.«
    »Gestern hast du dein Leben riskiert, um einen zu retten.«
    »Er war ein Freund.«
    »Wenn das zutrifft, bist du ein Freibeuter, der es wegen der Meriten macht. Also eindeutig schlimmer.«
    »Ach ja?«
    »Natürlich. Petzen zum Nutzen des Kollektivs ist falsch verstandene Loyalität. Petzen für Geld ist einfach nur reine Gier.«
    »Ach so.«
    »Ja, aber ich kaufe es dir trotzdem ab, ganz unabhängig von deinen Motiven«, sagte sie. »Ich muss nur wissen, was dein Schweigen wert ist.«
    Ich erwiderte standhaft ihren Blick, dachte krampfhaft nach, was ich machen sollte, und war doch hoffnungslos ins Schwimmen geraten.
    »Es sei denn«, fügte sie hinzu, »du bist wirklich so dumm, wie du aussiehst, und nur durch Zufall auf Zane und mich gestoßen.«
    »Ich bin hier, oder etwa nicht?«, platzte ich hervor; ein vergeblicher Versuch, verlorenen Boden zurückzugewinnen. »Woher sollte ich wissen, dass Zane hier gewohnt hat?«
    Das leuchtete ihr offenbar ein, doch in diesem Moment hörte ich meinen Vater in der Ferne pfeifen. Ich war spät dran, und wenn ich nicht zurückkäme, würde er nach mir suchen.
    »Gut«, sagte sie und trat beiseite, um mich vorbeizulassen, »ich werde dir alles erzählen.«
    »Wirklich?«
    »Ja. Auf dem Rückweg müsst ihr an der Quarantänestation anhalten. Lass dir eine Ausrede einfallen, und komm runter zum Fluss. Da treffen wir uns. Verstanden?«
    Ich nickte, und sie deutete mit dem Kopf zur Tür. Gemessenen Schrittes ging ich hinaus, in der Hoffnung, meine unbekümmerte Art würde sie beeindrucken, ein Effekt, der leider etwas beeinträchtigt wurde, dadurch dass ich über die Fußmatte stolperte.
    Ich holte den Caravaggio ab und kehrte zurück zu dem Farbhydranten, den ich mit meinem Vater als Treffpunkt ausgemacht hatte. Dad war nicht allein. Neben ihm stand ein Mann, und der Mann war von NationalColor. Ich wusste es deswegen, weil er das Logo

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