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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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mit den Farbspritzern aus dem umgekippten Einer auf der Brusttasche trug und sein Overall übersät war mit Flecken und Klecksen, Spritzern und Tropfen Hunderter verschiedener synthetischer Farbtöne, die wie Edelsteine an dem Stoff klebten. Es besagte, dass er seinen Beruf schon recht lange ausübte, der farbgetränkte Overall war eine Art Rangabzeichen und wurde mit Stolz getragen. Der Mann hatte die Magentazufuhr in dem Hydranten überprüft, ein Farbauswurf glitzerte auf dem Boden, und gerade verstaute er einen Analysator in einem Lederköfferchen. Viel interessanter aber fand ich, dass er mit einem Fahrrad gekommen war, einer schicken Rennmaschine älteren Datums, alle Gänge voll funktionstüchtig. Es wäre wohl zu viel der Hoffnung gewesen, mal eine Runde mit diesem vom Großen Sprung Zurück ausgenommenen Gerät drehen zu dürfen, trotzdem konnte ich meinen Blick nicht davon lassen.
    »Wo zum Ostwald bist du gewesen?«, fragte mein Vater.
    »Die Gegend erkunden«, stammelte ich, noch immer das Gespräch mit Jane im Kopf. Ich wollte im Beisein des Colormanns nicht von Zane, Jane oder der verblichenen Puka-Frau sprechen, das heißt, ich wollte eigentlich zu niemandem darüber sprechen. Dad brauchte nicht alles zu wissen, wollte er doch sowieso mit solchen Dingen nicht belästigt werden. In Konfliktsituationen mussten Mustermänner manchmal haarscharf unterscheiden zwischen Loyalität gegenüber dem Rat und Loyalität gegenüber der Familie, Unwissenheit war dann immer von Vorteil.
    »Darf ich vorstellen, seine Farbenprächtigkeit Matthew Gloss«, sagte Dad und wandte sich dem Colormann zu. »Bevor er zu NationalColor aufgestiegen ist, war er ein Russett, also ein entfernter Verwandter.«
    Leicht benommen schüttelte ich seine Hand. Noch nie zuvor hatte ich jemanden mit dem Titel Seine Farbenprächtigkeit kennengelernt. Es war eine Ehre, die einem selten zuteilwurde. Viel Zeit, ihn groß zu bestaunen, hatte ich allerdings nicht, denn Dad meinte, wir sollten uns gleich auf den Weg machen.
    Wir überquerten den Fluss, Dad und ich trugen den Caravaggio, der Colormann den Stapel Muster, die Dad wiederbeschafft hatte. Am gegenüberliegenden Ufer angekommen, in Sicherheit, hatten wir etwas mehr Muße, uns gegenseitig genauer zu mustern. Matthew Gloss war ein Herr im fortgeschrittenen mittleren Alter, dessen zerfurchtes, faltenreiches Gesicht selbstbewusste Gelassenheit ausstrahlte. Das wenige noch verbliebene Haar war strähnig und stand in alle Richtungen vom Kopf ab, seine Ohren kamen mir unangemessen groß vor.
    »Sie kommen aus Ost-Karmin?«, sagte er, nachdem man sich gegenseitig ausführlicher vorgestellt hatte. »Aber doch nicht etwa zu Fuß, oder?«
    Dad erklärte, dass wir einen Ford zur Verfügung hatten, und bot dem Colormann an, ihn auf der Rückfahrt mitzunehmen. Er nahm das Angebot bereitwillig an, denn er hatte sein Fahrrad den ganzen unwegsamen Abschnitt von der Pumpstation in Yerwood bis hierher schieben müssen, eine Strecke von immerhin zehn Kilometern. Eine Pause kam ihm da ganz gelegen.
    Wir setzten uns auf ein Mäuerchen und warteten auf Fandango. Der Colormann erzählte uns, er führe gerade eine Leitungsinspektion durch, die Ortschaft Camberwock Red habe nämlich in letzter Zeit ihre Magenta-Farben nur in einem stark verunreinigten Zustand über das Versorgungsnetz erhalten, was auf einen Bruch in irgendeinem der Einspeisungsrohre hindeutete.
    »Es ist kein leichter Job«, sagte er bekümmert. »Es gibt unendlich viele stillgelegte Verstrebungen im Netz, und die meisten sind nicht kartographiert.«
    Kurz darauf traf Fandango ein, der den Ford zum Glück ohne größere Probleme hatte starten können, und nach einer neuerlichen Vorstellungsrunde begaben wir uns zurück nach Ost-Karmin, im Gepäck siebenundsechzig Muster, ein Mittel gegen Schnupfen, ein Caravaggio-Gemälde, einen reisenden Colormann mit einem Rennrad, das einundzwanzig Gänge hatte, und die Gewissheit, dass Jane mir nun endlich sagen würde, was hier vor sich ging.

Quarantäne
    5.2.03.01.002 : Jeder Bewohner muss auch bei nur indirektem Kontakt mit Mehltauerregern die Quarantäneprozeduren befolgen.
    An einem geschwungenen Steilfelsen neben dem verwitterten Schild »Willkommen in Ost-Karmin« brachte der Werkmeister den Ford zum Stehen. Das Dorf lag in Sichtweite, gut einen Kilometer entfernt, und Fandango blinkte Morsezeichen mit dem Signalspiegel, dass wir zurückgekehrt waren, gesund und in Sicherheit, und dass wir unterwegs

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