Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
Vom Netzwerk:
allein die Pinktöne – als ich sie das letzte Mal gezählt habe, hatten wir vierundachtzig verschiedene in Gebrauch.«
    Eine geschlagene Stunde lang hörten wir ihm zu, während er über die Probleme mit dem Versorgungsnetz und über die Farbknappheit dozierte. Es war etwas ermüdend. Er wiederholte seine Ansicht über das noch unerschlossene Große Südliche Ballungsgebiet, aber merkte auch an, dass unterirdisch noch riesige Mengen unentdeckter Altfarben lagerten, da das Zeitalter der Genialität eine besänftigende Decke aus Erde und Blätterhumus über das Zeitalter der Intoleranz gebreitet hatte und es nur erfahrener Wertgutschürfer bedurfte, um sie hervorzuheben. Dann unterhielten sich Dad und er über das Für und Wider von Tagebau und Stollenbergbau bei der Wertgutförderung und dass NationalColor daran arbeite, univisuelle Farbtöne aus natürlichen Pigmenten herzustellen; mit einer bestimmten Form der Chromosynthese war es sogar bereits gelungen, aus Möhren ein blasses Orange zu gewinnen.
    »Acht Tonnen für einen Löffel angereichertes univisuelles Orange«, sagte der Colormann. »Das ist nicht überragend, aber die Techniker haben noch nicht aufgegeben.«
    Erst als Fandango mir den Wasserkanister des Fords in die Hand drückte und mir sagte, ich solle ihn auffüllen, bekam ich endlich die Gelegenheit, mich davonzustehlen, auf die ich gewartet hatte. Ich trottete los, durch ein Eichenwäldchen hinunter zum Fluss, wo Jane sicher schon auf mich wartete.
    Trotz seines langen Vortrags klang es interessant, was der Colormann zu erzählen hatte. Für NationalColor zu arbeiten war der Traum eines jeden Einwohners, doch nur wenige schafften es. Nur zwei von tausend Kandidaten wurden jedes Jahr berufen. Es war ein Traum, und zwar der schönste, den man träumen konnte: Status als Senior-Aufseher, ungehinderte Bewegungsfreiheit im gesamten Kollektiv mit einem Super Saison Apex für alle Stationen, legaler Gebrauch aller Rücksprunggüter, Requirierungsvollmacht für jeden Ford und immer umgeben von synthetischer Farbe. Der einzige Haken war, dass man selbst bei voller Qualifikation und sechzigprozentiger Minimalperzeption von einem Oberpräfekten zur Wahl vorgeschlagen werden musste, und die stellten die Höherperzeptiven gerne für die Farbsortierung zurück. Eigentlich hatte ich nie an eine Karriere bei NationalColor gedacht, es lag mir fern und schien mir unmöglich – aber versuchen konnte man es ja trotzdem.
    »Hier drüben!«
    Ich erblickte Jane, die mir zulächelte und vergnügt winkte. Überglücklich, dass sie ihre Meinung über mich offenbar geändert hatte, legte ich einen Schritt zu und war nur noch wenige Meter von ihr entfernt, als ich wie angewurzelt stehenblieb.
    »Das hast du extra gemacht, stimmt’s?«
    Ich presste es zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und wagte nicht, mich auch nur ein winziges bisschen zu bewegen. Das Lächeln auf ihrem Gesicht war verschwunden.
    »Stimmt«, sagte sie. »Und jetzt wirst du mir vielleicht auch verraten, was du alles weißt.«
    Sie hatte mich auf eine weiche, grasbewachsene Stelle gelockt, typisch für den Einzugsbereich von Yateveobäumen. Nervös schielte ich nach oben zu den sehnigen, stachelbesetzten Lianen und überlegte kurz, ob ich einen Sprung wagen sollte, um mich zu befreien. Ich konnte nur hoffen, dass der fleischfressende Baum kurz zuvor vielleicht ein Reh verspeist hatte und noch träge war oder dass ich noch einen Schritt guthatte, da mindestens zwei Sensoren ausgelöst werden mussten, bevor der Baum zum Schlag ausholte. Die Antwort auf diese Fragen wusste ich nicht, ich wusste nur, dass ein hungriger Yateveobaum eine ausgewachsene Antilope im Lauf fangen und blitzschnell reagieren konnte, deswegen entschied ich, lieber kein Risiko einzugehen.
    »Also«, sagte Jane und trat bis an den Rand des Schwenkbereichs der Lianen. »Was weißt du, und wichtiger noch, wem hast du es weitergesagt?«
    Ich war wütend. »Lass die Scherze«, zischte ich. »Das geht eindeutig zu weit. Außerdem hast du gesagt, du würdest mich nur töten, wenn ich deine Nase erwähne, aber ich habe sie bis jetzt mit keinem Wort erwähnt.«
    Als Reaktion warf sie mir einen Stock vor die Füße. Er traf einen Wurzelsensor, und der Yateveo stellte seine Stacheln auf, bereit zum Ausholen. Eine winzige Bewegung meinerseits, und ich wäre genau da, wo ich in diesem Moment bin – im Verdauungskolben des Baums, gemeinsam mit diversen verätzten Löffeln, und würde ganz

Weitere Kostenlose Bücher