Grau - ein Eddie Russett-Roman
allmählich das Bewusstsein verlieren und darüber sinnieren, wie ich bloß hierhergekommen war.
»Bist du wahnsinnig?«, entfuhr es mir. »Du kannst mich doch nicht einfach töten!«
»Ich werde dich nicht töten«, antwortete sie. »Das erledigt der Yateveo für mich. Ein schrecklicher, tragischer Unfall. Wenn die Trauerzeit vorbei ist – vielleicht schon morgen zur Teestunde –, wird dein Name auf die Abgangstafel geschrieben und daneben deine Verdienste, falls es denn welche gibt. Hast du überhaupt je etwas Bemerkenswertes oder Verdienstvolles geleistet?«
»Wenn mir ein langes Leben vergönnt ist«, antwortete ich langsam, »komme ich vielleicht noch dazu.«
»War einen Versuch wert, aber ich lasse mich auf keine Geschäfte ein. Und jetzt spuck’s endlich aus: Was weißt du?«
Ich holte tief Luft. Es wurde Zeit, reinen Tisch zu machen.
»Gar nichts weiß ich«, sagte ich, erleichtert, endlich die Wahrheit sagen zu können. »Das blamierend lächerliche Spielchen mit dem ›verlieben Idioten‹ war kein Spielchen. Ja, ich war neugierig, was ihr beiden vorhattet, du und Zane, aber mehr nicht! Eigentlich will ich mich nur auf eine Tasse Tee mit dir verabreden und mich wenigstens der Illusion hingeben, es gäbe eine realistische Alternative zu einem Leben mit den Oxbloods und ihrer Bindfadenfabrik.«
»So verblendet kann man gar nicht sein«, erwiderte sie und suchte nach einem Stöckchen, um den Yateveo zu reizen. »Hast du das unfertige Deckengemälde im Rathaus gesehen?«
»Ja.«
»Dein Vater auch?«
»Ich glaube nicht.«
»Hast du noch etwas gesehen?«
»Jemand ist vor meinen Augen verblichen .«
»Hat sie etwas gesagt?«
»Woher weißt du, dass es eine Frau war?«
» Ob sie etwas gesagt hat , will ich wissen.«
»Nein – aber sie wollte etwas sagen.«
»Und woher wusstest du den Weg zu Zanes Haus?«
»Mein Vater hat mir seinen Löffel gegeben«, sagte ich, mittlerweile mit einem leichten Anflug von H ysterie in der Stimme. »Auf der Rückseite war die Postleitzahl eingraviert.«
Jane sah mich verdutzt an, dann schüttelte sie langsam und mitleidig den Kopf.
»Dann bist du also wirklich so dumm, wie du aussiehst.«
»Noch viel dümmer«, versicherte ich ihr. »Andererseits hat mir meine Neugier schon immer Ärger eingebracht. Du hättest mal hören sollen, wie der Alte Magenta herumgetönt hat, als ich versucht habe, das System der Warteschlangen zu verbessern.«
»Unter normalen Umständen habe ich viel für Neugier übrig«, sagte sie, »aber diesmal halte ich es für sicherer, wenn dich einfach der Baum frisst. Es sei denn, dir fällt ein guter Grund ein, der dagegen spricht.«
Die blanke Aussicht auf den nahen Tod fördert auf wundervolle Weise die geistige Konzentration. Einem reizenden Grauen Mädchen mit Stupsnase hinterherzulaufen erschien mir genauso sinnlos, wie jetzt von ihr getötet zu werden. Aber noch war nicht alles verloren. Noch immer hatte ich ein Pfund, mit dem ich wuchern konnte. Vielleicht das einzige, was ich je hatte.
»Hör zu«, sagte ich. »Ich habe keine Ahnung, was du vorhast, und es geht mich auch nichts an. Du kannst mich töten, wenn du willst, aber es ist gut möglich, dass ich dir von Nutzen sein könnte.«
Sie lachte.
»Wie kommst du bloß darauf, du hättest mir irgendwas zu bieten, das ich gebrauchen könnte?«
»Dein Haar«, sagte ich. »Es ist rot.«
Sie starrte mich an. Es war mir gelungen, sie zu überraschen.
»Wer hat dir das gesagt?«
Ich rollte meine Augen, in der Hoffnung, dass sie mich verstand. Ich konnte mehr Rot wahrnehmen als die meisten, vielleicht sogar mehr als sonst irgendjemand. Nach meinem Ishihara am Sonntag würden es alle wissen, doch erst einmal musste ich Jane begreiflich machen, dass ich eines Tages vielleicht die Karriereleiter hinaufsteigen würde. Ich konnte von Nutzen sein . Sie legte den Kopf schief und sah mich an. Ich konnte beobachten, dass mein Einspruch Wirkung zeigte, also versprach ich ihr, mich in Zukunft so zurückzuhalten, dass ich selbst für die Mäuse unsichtbar bliebe.
»Nein«, sagte sie, nachdem sie kurz überlegt hatte. »Sei ruhig weiter neugierig. Das lenkt die Präfekten ab.«
»Sagte ich zurückhaltend? Ich meinte natürlich nervtötend wissbegierig.«
»Nervtötend wissbegierig ist gut. Nur nicht in meiner Nähe. Ein einziges Wort über Zane oder Rostberg oder sonst was, und ich mache mein Versprechen wahr. Blinzel zweimal, wenn du einverstanden bist.«
Ich blinzelte, und sie ging ohne
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