Graue Schatten
aber auch nicht mehr, als dass der da im Treppenhaus stand und nicht wusste, wohin er gehen sollte. War wohl selber bisschen verwirrt.“ Sie lachte schrill, wurde aber gleich wieder ernst, als sie sah, dass die Beamten nicht mitlachten.
Sie ließen sich den hübschen jungen Mann genauer beschreiben. Frau Blanck erzählte ausführlich die ganze Geschichte von vorn. Dann fragte Strobe, ob sie über den kräftigen Bewohner, der öfter für Stimmung sorge, auch etwas berichten könne.
Oh ja, das könne sie. Das sei ein ganz schwerer Fall. Der könne ganz schön böse werden. Er bekomme jetzt starke Medikamente. Aber früher habe er öfter die Schwestern geschlagen oder sogar mit Geschirr nach ihnen geworfen. Er sei ein paar Mal nach Weinsberg in die geschlossene Psychiatrie gekommen, zum Einstellen. Wenn er dann wieder zurück gewesen sei, sei es ein paar Wochen gut- und dann wieder von vorn losgegangen. Aber jetzt hätten sie es wahrscheinlich einigermaßen im Griff. Er habe sich in letzter Zeit nichts mehr geleistet. Bloß letztes Wochenende musste er wieder mal nachts aufgestanden und in fremde Zimmer gelaufen sein.
Interessant. Das hatte noch niemand erwähnt. Strobe vergewisserte sich noch einmal, dass sie von Herrn Eiche sprach, wollte wissen, wer das erzählt hatte und wann genau das vorgefallen sein sollte. Sonntagnacht, glaube sie, und der Max hatte es erzählt, der lange, schlanke Pflegeschüler.
Weil die Informationen gerade so gut flossen, stocherte Strobe weiter in verschiedenen Richtungen, und die Quelle erwies sich als wirklich ergiebig. Sie erfuhren noch, dass Herr Eiche zwar sicher nicht heimlich Lebensmittel an Bewohner verteilte. Aber eine Putzfrau, die nur ein paar Stunden in der Woche hier arbeitete, hatte so etwas früher schon mal gemacht. Sie wurde aber damals daraufhin zurechtgewiesen und hat das dann wohl bleiben lassen.
Nach dem Gespräch vereinbarten Strobe und Schell, wieder getrennt zu ermitteln. Schell solle versuchen, diese Frau Abele zu finden und herauszubekommen, ob sie Verwandte beziehungsweise am Sonntag Besuch gehabt habe oder ob sie überhaupt Besuch bekomme. Wenn ja, ob ein Ukrainer dabei gewesen sei. Wenn er damit fertig und noch nicht zusammengeklappt sei, solle er noch feststellen, wer von den Mitarbeitern, die letzten Sonntag gearbeitet hatten, auch heute hier seien. Im ganzen Haus. Würden sicher nicht viele sein. Falls aber jemand heute das zweite Wochenende hintereinander arbeite, könne ihn Schell gleich zu dem fremden Besucher befragen. Apropos Besucher. Die Angehörigen dürfe er natürlich auch nicht vergessen ...
Strobe würde indessen der Geschichte mit diesem Herrn Eiche nachgehen und, wenn er fertig sei, zu Schell stoßen. Ob alles klar sei, wollte er noch wissen. Ich werde dem Bub die Sauferei zwischen zwei Diensten schon austreiben, dachte er.
Schell hatte anscheinend nicht einmal die Kraft, zu protestieren. Er meinte nur, dass er sich zuerst im Keller eine Cola aus dem Automaten holen und sich dann vom Erdgeschoss nach oben arbeiten werde.
„Aber nicht im Cafe hängen bleiben! Und denk immer an das Anwesenheitslicht. Und nimm immer schön das Treppenhaus, nicht das wir uns verfehlen“, rief Strobe ihm noch hinterher, als Schell bereits lustlos und entnervt die Glastür zum eben erwähnten Treppenhaus öffnete.
Aus dem Aufzug wurde ein mannshoher Essenwagen geschoben und mit ihm ein Hauch von besserer Luft. Der Hauptkommissar ging zum Aufenthaltsraum, wo Bodo Stiller mit einem Tablett voller gelber Plastikbecherchen zwischen den Tischen umherflitzte.
„Tut mir leid, ich muss Sie noch einmal belästigen“, sagte Strobe leicht verärgert, es sollte eigentlich auch keine Entschuldigung sein.
„Bitte. Aber ich muss nebenbei die Medikamente verteilen“, antwortete der Schichtleiter und kippte mit der linken Hand einer Bewohnerin den Inhalt eines gelben Bechers in den Mund. Stiller nahm ein weiteres Becherchen vom Tablett, das er in seiner Rechten hielt, und schüttete den flüssigen Inhalt in den noch immer offenen Mund hinterher. Dann nahm er einen größeren Becher, der, mit Orangensaft gefüllt, vor der Frau auf dem Tisch stand, führte ihn zu ihrem Mund und sagte beschwörend: „Schlucken, schön schlucken, schlucken.“
Die Frau schluckte bereitwillig und wedelte dabei mit den seltsamerweise noch funktionsfähigen Händen.
„Wenn ich die Medikamente den Leuten nur hinstelle, kann ich sie auch gleich in den Abfall kippen“, erläuterte Bodo
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