Graue Schatten
Gardine bewegte sich leicht, vermutlich durch die Luftbewegung dahinter. Während Strobe noch einmal Sturm klingelte, bewies Schell, dass er trotz seines Katers noch immer der Sportlichere von beiden war: Er schwang sich über den fast hüfthohen Zaun auf der linken Seite des Gebäudes und lief an der Giebelseite entlang hinter das Haus.
Der Hauptkommissar nahm den Finger von der Klingel, da hörte er auch schon Schell hinter dem Haus brüllen: „Halt! Polizei, bleiben Sie stehen!“
Strobe mühte sich fluchend über den Zaun. Das körperliche Element des Jobs war noch nie seine Stärke gewesen. Aber jetzt sah er ein, wenn er nicht bald etwas gegen seinen Ranzen tat, kriegte er mehr als nur Ärger mit seiner Hanna. Er hörte jemand hektisch reden und eine andere, eine weibliche Stimme etwas rufen. Als er hinten ankam, sah er erst einmal niemanden. „Dieter?“
„Hier sind wir“, hörte er die Stimme des Buben hinter der Ecke eines großen Holzschuppens. Strobe lief um den Schuppen herum und sah einen Mann mit den Armen hinter dem Kopf und dem Gesicht zur Wand an der Schuppenwand stehen. Er fluchte laut in einer Fremdsprache. Eine junge Frau stand einige Meter weiter am Zaun, hielt sich die Hände vor den Mund und starrte entsetzt auf die Männer an der Holzwand.
„Was wollen Sie, er hat doch nichts gemacht“, rief sie sichtlich durcheinander Strobe zu.
„Die zwei wollten gerade über den Gartenzaun klettern und auf dem Acker spazieren gehen“, erklärte Schell sarkastisch, während er dem Mann Handschellen anlegte. Jener verfluchte Schell nun auf Deutsch und wehrte sich heftig, aber der Kommissar hatte ihn im Griff. Mit einer Hand zog er ihm die Brieftasche aus der Hose und reichte sie Strobe. Der klappte sie auf, fand den Personalausweis und sagte: „Andrej Kovalev, warum wollten Sie flüchten?“
„Wollte nicht flüchten, spazieren gehen, hat doch gesagt! Lassen sofort los mich!“, wetterte der Mann in der schwarzen Lederjacke und befreite sich demonstrativ aus Schells Griff. Der ließ ihn, da er in Handschellen sowieso nicht weit gekommen wäre, los. „Das war eine klassische Fluchtsituation und Widerstand gegen die Staatsgewalt“, erklärte er dann. „Ich habe die beiden zum Zaun rennen sehen. Der Typ wollte ihr drüber helfen, hab ihn gerade noch so davon abhalten können“ Schell keuchte immer noch. „Damit war aber Rambo nicht einverstanden, er fing zu boxen an und ich musste ihn erst mal bändigen.“
Andrej Kovalev fluchte wieder, vermutlich in seiner Heimatsprache.
„Herr Kovalev, wir wollten Ihnen und Ihrer Freundin eigentlich nur ein paar Fragen stellen. Sie sind doch Bettina Richter?“, wandte sich Strobe an die junge Frau, der nun ein paar Tränen über die Wangen kullerten. Sie nickte.
In dem Moment, als Schell, plötzlich ganz Kavalier, eine Packung Papiertaschentücher aus seiner Jackeninnentasche fischte, machte Kovalev einen Satz zum Gartenzaun. Schell versuchte ihn noch mit der linken Hand zu schnappen. Doch bevor Schell seine rechte Hand aus der Jacke gezogen und Strobe entschieden hatte, Kovalevs Papiere und dessen Brieftasche einfach fallen zu lassen, hatte sich der Mann schon gekonnt, rücklings über den Zaun gerollt.
Doch weit kam er nicht. Kovalev hatte sich gerade auf der anderen Seite des Zaunes aufgerichtet und war einen Schritt weitergestolpert, da stürzte sich Schell auf ihn und warf ihn zu Boden.
„Das ist mir hier zu anstrengend“, murmelte Strobe, holte sein Handy aus der Tasche und rief die Lauffener Polizeiwache an. Sie sollten die zwei abholen und in Gewahrsam nehmen.
„Da Sie offensichtlich die Aufklärung einer Straftat behindern wollen, müssen wir Sie leider erst mal mitnehmen“, sagte er zu Bettina Richter, die wieder ihr Gesicht in beiden Händen vergrub. Zu dem Mann, den Schell eben wieder über den Zaun zurück in den Garten bugsierte, sagte er: „Die Aktion war ja wohl überflüssig wie ein Kropf. Wo wollten Sie denn hin mit Handschellen und ohne Papiere?“
Der Streifenwagen war innerhalb von fünf Minuten da. Andrej Kovalev hatte die ganze Zeit protestiert und einen Anwalt verlangt. Bettina Richter hatte nur geheult. Mit ihr zu reden, war unmöglich gewesen. Als der Streifenwagen mit den beiden weg war, meinte Strobe, die zwei sollten sich erst mal beruhigen. Die würden sie später vernehmen. Wenn er schon im Ort sei, wolle er gleich noch die geplanten Besuche bei Hartmut Locke und dem Hausarzt erledigen.
Als die Beamten dann im
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