Graue Schatten
tief Luft.
Weiter so, dachte Strobe, da wollen wir ihn hin haben. Sollte er weiter sein Herz ausschütten! Deshalb fragte er, ob man also sagen könne, dass die Mutter mehr oder weniger daran schuld sei, dass es der Firma nicht so gut ging.
Das verneinte der Geschäftsmann und entspannte sich sichtlich. Er meinte nun, auch der Vater selber habe dazu beigetragen. Er sei viel zu unflexibel gewesen. Erst nach dessen Tod habe Sausele seine Ideen umsetzen, den Baubetrieb aufgeben und aus dem wenigen Kapital die Baumaschinen-Vermietung aufbauen können. Sein Vater habe zum Glück ihm die Firma ver- und seine Mutter enterbt. Ihren Pflichtanteil habe sie schon nach kurzer Zeit durchgebracht gehabt. Und außerdem: Der Firma gehe es momentan überhaupt nicht schlecht. Er habe im letzten Jahr fast fünfzigtausend Euro Gewinn vor Steuern – nicht Umsatz! – gemacht, und sogar eine Mitarbeiterin auf Vierhundert-Euro-Basis eingestellt.
Aber ein Heimplatz für zweieinhalbtausend Euro im Monat sei ja auch kein Pappenstiel, entgegnete Strobe und beschloss, noch einen Schritt weiter zu gehen. Bei so großzügigen Ausgaben für den Lebensunterhalt der Mutter, müsse die Liebe zu ihr schon groß sein, behauptete er.
Sausele ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er schmunzelte und verriet, dass er den größten Teil als außergewöhnliche Belastung von der Steuer absetzen könne. Er habe außerdem vorgehabt, das Einzelzimmer seiner Mutter demnächst in ein Doppelzimmer umwandeln zu lassen. Das sei überhaupt kein Problem gewesen, er habe auch seine Mutter schon fast so weit gehabt. Ein bisschen Gesellschaft wäre ja auch für sie gut gewesen.
Dann müssen wir halt mal direkt werden, dachte der Hauptkommissar und fragte Sausele, ob das Verhältnis zwischen ihm und seiner Mutter gut oder weniger gut gewesen sei.
Die Augen des Geschäftsmannes verengten sich nur für einen winzigen Augenblick, in dem Strobe meinte Hass in ihnen zu erkennen. Dann antwortete Sausele gelassen, dass sie, seit sie diese Krankheit gehabt habe, immer unausstehlicher geworden sei, aber sie sei schließlich seine Mutter gewesen. Er schaute den Hauptkommissar fragend an.
Der erkundigte sich nach Sauseles Exfrau. Hatte die bei der Scheidung keinen Anspruch auf einen Teil der Firma gehabt? Nein, hatte sie nicht. Und Unterhalt bekam sie auch keinen, ergänzte der Geschäftsmann, sie hatten keine Kinder, die Frau sei selbst berufstätig und verdiene genug.
Er hatte den Hauptkommissar wohl durchschaut. Es wäre Zeit, das Thema zu wechseln, dachte Strobe und fragte Sausele, ob er einen Andrej Kovalev kenne.
Er antwortete, er kenne ihn, und fügte ein knappes „Warum“ an. Anstatt die Frage zu beantworten, hängte der Hauptkommissar eine weitere an: Kannte er auch den Bruder, Juri Kovalev, ebenso bekannt als Yegor Kutschman?
Sausele wirkte nur ein bisschen überrascht. Nach kurzem Zögern gab er zu, dass er mitbekommen habe, dass der Koch einen Bruder habe. Er sei ihm auf Hansens Party begegnet, aber dass er ihn kennen würde, könne er nicht behaupten.
Strobe bat ihn, von dieser Begegnung mehr zu berichten.
„Warum ist das so wichtig?“, wollte Sausele wissen.
„Der Mann ist vorbestraft“, verriet ihm der Hauptkommissar. Nach ihm wird wegen verschiedener Delikte gefahndet, und er wurde am Sonntagabend vor der Mordnacht im Sonnenweiß-Stift gesehen. Deshalb müssen wir so viel wie möglich über diesen Mann erfahren. Worüber haben Sie bei Ihrer Begegnung gesprochen?“
Sausele wurde etwas blass. Oder bildete Strobe sich das nur ein? Jedenfalls brauchte der Geschäftsmann wieder einen Augenblick, bis er seine Gedanken sortiert hatte.
„Wir haben nur ein paar belanglose Worte gewechselt“, antwortete er schließlich. „Zuerst habe ich einen Scherz gemacht. In Anspielung auf die Zwillingsbrüder habe ich gesagt, dass ich wohl schon alles doppelt sehen würde. Danach haben wir uns kurz über das Wetter und das gute Essen des Bruders unterhalten. Dann bin ich wieder in die Küche gegangen. Das ist ja furchtbar, dass ich da mit einem Schurken geredet habe, nach dem gefahndet wird.“
„Wir wissen, dass Sie sich an die zehn Minuten mit dem Mann unterhalten haben“, gab Schell Sausele zu verstehen. „Da kann es doch nicht nur um Essen und Wetter gegangen sein.“
„Doch, ging es! Das ist alles gewesen. Was soll diese Unterstellung überhaupt! Ich bin in Trauer um meine Mutter und muss mich hier wie ein Verbrecher einem Verhör unterziehen. Sie
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