Graue Schatten
sein sollen?“
„Wäre ja möglich gewesen, er geht gleich zu seinem Busenfreund, sobald er ausgepennt hat. Sonst hat er doch auch ständig bei ihm abgehangen.“
„Auch am Wochenende?“, fragte Larissa listig. Sie wusste, dass es nicht so war. Ihre Freundin wehrte den Einwand indirekt ab, indem sie erwiderte: „Und wenn er zu Hause war, hatte er nur noch schlechte Laune.“
„Aha.“
„Und es war ja dann auch so. Kaum bin ich zur Tür rein, ein Riesentheater! Aber am Sonntag hatte er wenigstens einen Grund dafür.“
„Also, du bist heimgekommen, ihr habt gestritten, er hat getobt. Und dann ist er sofort zu Locke abgehauen und von dort aus gleich zur Nachtschicht gefahren?“, versuchte Larissa den Sonntag zu rekapitulieren. Sie wollte endlich verstehen, was Betti zu dem einschneidenden Schritt bewegt hatte.
„Ja. Ich frage mich, wieso er überhaupt auf mich gewartet hat. Er hätte ja auch schon früher zu seinem Kiffbruder gehen können.“
Nun konnte Larissa aber nicht anders, als Kevin zu verteidigen: „Na hör mal, es war Sonntag! Dafür, dass er Nachtdienst hatte, konnte er ja nichts ...“
„Das sehe ich anders!“, unterbrach ihre Freundin.
„Na gut. Aber wenn er am Wochenende tagsüber arbeiten musste, war's ja genauso blöd. Geteilter Dienst, früh raus, dann paar Stunden zu Hause und abends wieder los“, spielte Larissa auf die Meinungsverschiedenheiten, die die Verflossenen wegen Kevins Nachtdienst gehabt hatten, an.
„Ach, ist doch jetzt auch egal“, versuchte Betti das Thema abzuwürgen.
Betti hat recht, dachte Larissa. Wenn die beiden nun nicht mehr zusammen waren, brauchte man die endlose Diskussion um Kevins Dienstzeiten nicht fortzuführen. Damit hatten sie sich in der letzten Zeit oft genug gegenseitig genervt. Es war nun egal.
Eine kurze Pause entstand, dann fragte Larissa: „Wie alt ist deine neue Flamme eigentlich?“
„Schnuckelige fünfundzwanzig.“
„Vier Jahre jünger als du! Meinst du, dass das lange gut geht?“
„Hauptsache, es endet nicht so wie mit Kevin ... Hat er noch was gesagt zu dir? Ihr habt euch doch bestimmt unterhalten, oder?“
„Ja sicher. Gesehen haben wir uns bei der Übergabe, gestern Morgen, aber da wusste er es ja noch nicht. Später, gestern Nachmittag, hat er natürlich bei mir angerufen. Wenn nicht, hätte ich das gemacht. Du warst ja nicht zu erreichen.“
„Du, ich hatte total viel zu tun“, redete sich Betti heraus. „Erst mal war in der Praxis die Hölle los, Grippewelle, und dann mussten wir noch Abrechnungen schreiben. Ich bin um halb sieben rausgekommen! Und dann war ich fix und fertig und musste noch meine Klamotten auspacken und irgendwie einsortieren.“
„Ist in seiner Wohnung überhaupt genug Platz für euch zwei und für deine Kleider und deine hundert Paar Schuhe?“
„Logisch! Die Wohnung ist riesengroß. Er hat gesagt, er hatte mich schon eingeplant, als er sie ausgesucht hat. Er ist ein richtiger Familienmensch.“
„Ha, Familienmensch!“ Larissa musste lachen. „Seit wann stehst du auf so was?“
„Tja, man wird reifer.“
„Ach, und ist auch schon Nachwuchs geplant?“
„Um Gottes Willen! Nee, nee, meine Meinung dazu hat sich nicht geändert.“
„Ob das mal gut geht? Er ... Familienmensch, und du willst keine Kinder“, stichelte Larissa weiter.
„Was hat Kevin noch erzählt?“, lenkte Betti ab.
„Er hat natürlich zuerst gefragt, ob ich davon wusste, dass du ausziehen willst. Dann wollte er mir nicht glauben, dass ich ahnungslos war. Ich habe ihn aber doch überzeugen können. Ich habe ihm gesagt, dass ich genauso überrascht bin wie er und auch so geschockt.“
„Jetzt komm – geschockt! Na egal, und weiter?“
„Dann wollte er wissen, ob ich den Typen kenne, zu dem du gezogen bist. Er hat mir komischerweise sofort geglaubt, dass ich genauso wenig wusste wie er. Als ich ihn ein bisschen trösten wollte, meinte er: ‚Halb so schlimm‘ und: ‚Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme‘.“
„Was? So ein Geschwalle. Hat er wieder einen Philosophen zitiert oder so?“
„Keine Ahnung. Jedenfalls hab ich mich gewundert, dass er das dermaßen locker wegsteckt, und ihn gefragt, ob er damit gerechnet hatte. Er darauf: ‚Nicht direkt, aber bei Betti musste man immer mit allem rechnen‘.“
„So ein Arsch!“
„Da konnte er anscheinend seine Gefühle doch nicht mehr ganz zügeln“, wertete Larissa Kevins Bemerkung.
„Vor allem seine Aggressionen! Aber für die konnte ich
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