Graue Schatten
Privatpatientinnen für Reiki-Behandlungen oder energetische Rückenmassagen Geld abzuknöpfen. Wobei sich Kevin oft fragte, warum Locke nie männliche Patienten behandelte. Auch, ob bei dessen Handauflegen die Kleidung abgelegt werden musste, oder ob die Massagen sich nur auf den Rücken beschränkten. Seinem Kumpel gegenüber hielt er sich mit Anspielungen diesbezüglich zurück. Locke nahm seine Sache ernst. Und er war noch lange nicht am Ende seiner Reise in die geistige Welt, seiner Ansicht nach. Auch das sah Kevin etwas anders. Aber er wollte ihn nicht aufhalten auf dem Weg zu seinem großen Ziel – der Geistheilung.
Nur dabei, wie Locke nebenbei seine Heilpraktikerausbildung durchzuziehen versuchte, konnte er nicht kommentarlos zusehen. Kevin hatte in der Krankenpflegeschule eine der Prüferinnen vom Gesundheitsamt als Dozentin kennengelernt und wusste daher, dass die Heilpraktikerprüflinge nichts geschenkt bekamen.
Seinem Kumpel hatte Kevin schon öfter nahe gelegt, sich mehr mit den schulmedizinischen Aspekten zu beschäftigen. Inzwischen hatte er es aber aufgegeben und akzeptiert, dass der Rastamann in mancher Hinsicht schon ein bisschen von der Realität abgedriftet war.
Locke hatte sich gerade noch eine Tüte gedreht, als das Telefon klingelte. Er nahm ab und nannte mit Tonfall und Miene eines Geschäftsmannes seinen vollen Namen. Doch sofort darauf veränderte sich seine Miene und er schmunzelte. „Hi, Lara ... Jawohl, ich geb ihn dir.“ Er reichte Kevin den Hörer.
„Hi, Kollegin, was geht?“, meldete sich Kevin.
Er hörte eine Weile zu, meinte dann, dass er seit achtzehn Uhr hier sei und dass er, was Betti betreffe, auch nicht weiterhelfen könne. Er habe sie am Sonntagabend, bevor er zum Dienst gegangen sei, das letzte Mal gesehen. Aber das wisse sie, Lara, ja selber. Und auch nachdem er am Montag mit Larissa telefoniert habe, habe er nichts mehr von Betti gehört.
Locke reichte ihm die Tüte. Nachdem Kevin einen tiefen Zug inhaliert und dabei Larissa gelauscht hatte, zog er fragend die Schultern nach oben. „Du, es war halt nicht mehr das, zwischen Betti und mir. Du weißt ja, was in letzter Zeit los gewesen ist. Soll sie ihren Spaß haben mit ihrem neuen Stecher, ich werde keine Migräne kriegen.“
Was die sich für Gedanken machte. Kevin konnte ihre Sorgen nicht nachvollziehen. Schließlich schien Larissa auch aufzugeben. Kevin verabschiedete sich: „Ja, alles klar. Ciao, bis morgen!“
„Du Ärmster, ich sollte dir wohl mal eine meiner Patientinnen überweisen. Nicht, dass du noch fürs Nagelstudio sparen musst.“
„Angeber. So üppig läuft ja deine Praxis auch nicht. Wo sind sie denn, deine Patientinnen?“
„Dass du mich mal nicht unterschätzt. Ich hab eine ..., wenn ich die jetzt anrufe, liegt sie in dreißig Minuten hier auf dem Futon, wenn ich das will.“
Kevin konnte sich schon vorstellen, dass eine von Lockes Bekanntschaften dermaßen hörig war. Aber: eine ...? „Wenn, dann soll sie eine zweite mitbringen. Vielleicht eine mit Rückenproblemen oder so. Eine Rückenmassage kriege ich auch noch hin. So einen Kurs hatten wir im dritten Ausbildungsjahr.“
Nun griff Locke tatsächlich zu seinem Telefonbüchlein hinter sich im Regal. Er tippte eine Nummer ein, hielt den Hörer ans Ohr und wartete. Dabei zwinkerte er, weil vom Qualm seine Augen brannten.
„Hallo Rosa, hier ist Hartmut“, sagte er schließlich. Am Tonfall erkannte Kevin, dass Locke auf einen Anrufbeantworter sprach.
„Du hattest mir auf die Mailbox gesprochen, dass es wieder schlimmer ist. Es ist diese Woche kurzfristig was frei geworden. Am besten du rufst mich gleich heute noch zurück, zwecks eines Termins. Ich bin zu Hause und ... bis eins oder länger bin ich wach. Ciao!“
Kevin musste sich das Lachen verkneifen. „Ganz schön ausgebucht, der Herr Handaufleger. Aber ich vermute, heute Abend hat die schon einen anderen Therapeuten“, spöttelte er.
„Du glaubst mir immer noch nicht? Du hast keinen Schimmer was hier abgeht. Bisher hab ich mich immer zurückgehalten, wegen deiner Ex. Ich wollte dich schließlich nicht in eine unangenehme Situation bringen. Aber jetzt bist du ja nicht mehr gebunden. Jetzt kann ich dich mal an einer kleinen Gruppentherapie teilhaben lassen. Du wirst dich noch wundern.“
Kevin wunderte sich bereits. „Ich dachte immer, es ist dir so ernst mit deinen alternativen Heilmethoden und mit deiner geistigen Entwicklung und dem ganzen Blabla.“
„Nix Blabla! Die
Weitere Kostenlose Bücher