Graue Schatten
geistige Entwicklung ist mir ernst. Aber auch mein Leben. Ich bin ja nicht körperlos. Verstehst du?“
Kevin schaute ihn nur fragend an.
„Alter, ich trenne die Spreu vom Weizen, wenn du weißt, was ich meine. Ich halte die zwei Sachen schön auseinander ... Da sind die Leute mit einem gesundheitlichen Problem. Von denen nehme ich ja auch Kohle dafür. Und dann gibt es da ein paar reizende Geschöpfe, die noch etwas anderes suchen. Man spürt das ja, wenn man ein bisschen sensitiv veranlagt ist. Und in solchen Fällen kann es passieren, dass wir uns ein bisschen auf die energetische Erweiterung des Herz-Chakras konzentrieren.“
Er lächelte geheimnisvoll schelmisch und erläuterte: „Dadurch wird die Liebesschwingung verstärkt.“ Nun grinste er breit.
„Mit anderen Worten: Du machst die Tusse erst high und dann spielst du den Sex-Guru.“
„Du hast echt keine Ahnung!“
„Offenkundig nicht, erzähl doch!“
„Du wirst das nicht verstehen, dazu müsstest du dich mehr den Dingen öffnen.“
Locke grinste nicht mehr. Sollte Kevin ihn für voll nehmen, oder faselte Locke inzwischen, nach einigen Joints, nur noch Stuss? Kevin signalisierte mit ernster Miene, nun geneigt zu sein, dem Meister weiter zu lauschen
Der fuhr fort: „Wenn die Frauen bereit sind ...“
„Die Frauen?“, unterbrach Kevin.
„Ja sicher.“
„Mehrere Gleichzeitig?“
„Wir haben schon Gruppenerfahrungen in einer Dreiergruppe gesammelt.“ Locke blieb ernst und tat ganz selbstverständlich. „Wenn du mich ausreden lassen würdest ... Also, wenn die Frauen bereit sind, ihre Herzen zu öffnen, tief in das Gefühl von Einssein und Verbundenheit einzutauchen, kann sich die Reiki-Gruppenenergie entfalten. Die wirkt dann entkrampfend, schafft Vertrauen, lockert Gefühlsblockaden. Gemeinsam können sie mit mir durch die Leichtigkeit des Seins schweben und eine spezielle, nicht alltägliche Intensiverfahrung machen. Ein Tiefenerlebnis außerhalb des normalen Bewusstseinszustandes, verstehst du, Alter?“
Kevin konnte sich's denken, wusste aber immer noch nicht, ob das Geschwafel ernst gemeint war. „Und was Reiki nicht schafft, kriegt der Schamane mit ein paar Joints hin, oder?“
Sein Kumpel fixierte ihn nur streng und zog an seiner Tüte. Wahrscheinlich war er jetzt endgültig beleidigt.
„Lass gut sein.“ Kevin winkte ab. Er hatte sowieso gerade keine Lust mehr auf Esoterik. Gegen eine kleine Party mit zwei Schnitten hatte er nichts einzuwenden, aber dann sollte sein Kumpel bitte den Schnickschnack weglassen.
„Okay, anderes Thema“, unterbrach Locke das kurze Schweigen. „Wie sieht es mit deinen Karriereplänen aus?“
Das war nun Lockes Retourkutsche, seine Rache dafür, dass er sich wohl nicht ernst genommen fühlte. Allerdings war Kevin durch mehr als drei Liter Hofbräu und zwei Joints schon in einem Bewusstseinszustand, in dem er ganz locker mit einem Thema umgehen konnte, das ihm sonst die Laune verdorben hätte. Ihm kam spontan eine Idee.
„Ich gründe ein Altenheim“, verkündete er.
Locke lachte zuerst, war sich dann aber, so wie vorher Kevin, nicht mehr sicher, ob das ein Joke sein sollte oder nicht. „Quatsch! Wie willst du das finanzieren?“
„Ich habe mir schon öfter Gedanken darüber gemacht“, log Kevin und ergänzte, was er in einer Anzeige in der Unterländer Stimme gelesen hatte: „Eine Villa in der Altstadt steht zum Verkauf.“
„Echt?“
Kevin nickte, übersprang einfach die Frage der Finanzierung und fantasierte weiter: „Ich bin mir sicher, es gibt einen Markt für eine exklusive Pflege.“
Locke hob interessiert die Augenbrauen. „Verstehe, ein Heim für Leute mit Kohle.“
„Ich denke, man muss nur die Vorzüge des Projekts hervorheben; das, was die vorhandenen Institutionen nicht bieten können: Wirklich individuelle Pflege, keine Fließbandabfertigung“, spann Kevin den Faden weiter.
Locke war begeistert. „Ich denke, hier in der Gegend wären die Marktchancen gut. Es gibt im Ländle noch genug Geldsäcke. Und geizig wie sie sind, haben die alle fürs Alter gespart“, mutmaßte er.
„Genau, schaffe, schaffe, Häusle baue und mit sechsundsechzig kriegen sie das erste Schlägle. Dann sind sie im Eimer und wir müssen sie pflegen.“
„Für ihr Erspartes.“
„Alles eine Frage des Managements.“
„Man muss nur die allseits bekannten Missstände der vorhandenen Heime noch ein bisschen hervorheben und ihnen dann unsere Nobelherberge gegenüberstellen. Das lockt
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