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Graue Schatten

Graue Schatten

Titel: Graue Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Nimtsch
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Dann steckte sie das Bügeleisen an und schaltete den Fernseher ein. Sie blieb bei dem Programm, das als Erstes auf der Mattscheibe erschien.
    Nach der zweiten Gerichtshow hatte Betti immer noch nicht zurückgerufen. Auch noch nicht, als die darauffolgenden Talkshows sowie die Quizshow vorbei waren und der ganze Korb Wäsche gebügelt und zusammengelegt auf dem Wohnzimmertisch lag.
    Was ist mit Betti seit Sonntag los?, fragte sich Larissa. Schon gestern war sie so seltsam gewesen. Wollte am Telefon nicht über etwas sprechen, das sie immerhin dazu getrieben hatte, bei Kevin auszuziehen. Schon allein, dass Betti sich nicht gleich am Montag bei ihr gemeldet hatte, war ungewöhnlich. Und gestern am Telefon wirkte sie irgendwie distanziert. Dazu gestresst oder gehetzt, als habe sie unter Druck gestanden.
    Und jetzt meldete sie sich wieder nicht! Noch einmal versuchte Larissa es auf Bettis Handy. Wieder meldete sich die Mailbox.
    Sie überlegte, ob sie Kevin anrufen sollte. Ihr kam ein verrückter Gedanke: Vielleicht war sie ja bei ihm. Möglicherweise hatten sie sich sogar wieder versöhnt.
    Wenn nicht, würde sie Kevin fragen, was am Sonntag passiert war. Den Daumen schon über der Kurzwahltaste zögerte sie. Auch mit Kevin stimmte ja etwas nicht. Erneut fragte sie sich, was da los gewesen war. Hatte er sie geschlagen? Manchmal konnte Kevin ziemlich zornig werden. Bisher waren es nur verbale Wutausbrüche gewesen. Oder er hatte sich an Gegenständen ausgelassen.
    Larissa erinnerte sich an ein Erlebnis aus dem vergangenen Jahr. Sie wollten in Heilbronn ins Kino, zur Premiere von „Herr der Ringe“. Kevin meinte, er kenne den Kartenverkäufer so gut, dass der ihm trotz ausverkaufter Vorstellung drei Reservekarten zurücklegen würde. Wie sich nachher herausstellte, hatte der Verkäufer am Telefon nichts versprochen, nur gesagt, er wollte es versuchen. Als es dann mit den Karten nicht klappte, blieb Kevin am Schalter des Kinos noch ganz freundlich. Auf dem Weg zur Pizzeria, in die sie nachher gingen, kickte er plötzlich in einem kurzen Anfall von Jähzorn einen halb vollen Papierkorb mit einem kraftvollen Fußtritt aus der Halterung heraus auf die Wiese der Parkanlage. Betti und sie erschraken damals nicht wenig. Aber dass Kevin jemanden schlagen würde, das konnte sich Larissa nicht vorstellen.
    Sie drückte die Kurzwahltaste. Auf dem Display erschien noch immer: Betti und Kevin. Sie ließ es eine Minute klingeln. Er hatte den Anrufbeantworter also ausgeschaltet, das war verständlich. Die Ansage, die damals Betti aufgesprochen hatte, wollte er sicher nicht mehr hören.
    Anscheinend war er nicht da.
    Larissa verdrängte das seltsame Gefühl, dass ihre Freundin in irgendwelchen Schwierigkeiten stecken oder in Not sein könnte und deshalb nicht anrief. Es musste wohl doch eher so sein, dass sie einfach dermaßen mit ihrer neuen Liebe beschäftigt war, dass sie für Larissa keine Zeit hatte. Ihr Andrej war ihr gerade wichtiger. Das würde zu ihr passen.
    Inzwischen war es schon wieder Zeit für die Fernsehserie. Falls Betti jetzt anriefe, hätte sie Pech, dachte Larissa trotzig. Wenn die treulose Tomate sie den ganzen Nachmittag warten ließ, musste sie sich eben nun selber eine halbe Stunde gedulden.

    Zur gleichen Zeit als oben auf dem Berg Larissa wütend feststellte, dass in ihrer Soap ein Schauspieler kurzerhand ausgetauscht worden war, wurde unten im Tal, am Rande der Altstadt, ein Fenster geöffnet. Dunstschwaden zogen hinaus in den grauen Novemberhimmel.
    Zwei Zigarettenzüge später beendete Hartmut Locke, dessen Nachname irgendwann auch zu seinem Spitznamen geworden war, die Frischluftzufuhr mit den Worten: „Das reicht, ich mach wieder zu den Laden.“
    „Wir wollen uns ja keine Lungenentzündung holen“, stimmte Kevin seinem Kumpel zu.
    Innerhalb von Minuten hatte die eisige Luft den Raum gefüllt und den Geruch von Bier, Zigaretten und Marihuana etwas verdrängt.
    Schon seit einigen Stunden saßen die beiden hier in Lockes Junggesellenbude, die so bunt war wie seine selbstgebastelte Religion, deren Anhängerschaft aus ihm selbst und zeitweise aus der einen oder anderen jungen Frau bestand. Wobei diese dann jeweils wohl mehr von seinem Äußeren und seiner Eloquenz als von seiner Philosophie beeindruckt war. Trotz seiner zweiunddreißig Jahre beschrieb ihn die Mehrheit der jungen Mädchen in seiner Umgebung immer noch als „süß“. Ob wegen seiner Rastazöpfe, auf die Locke sehr stolz war, bezweifelte

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