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Graue Schatten

Graue Schatten

Titel: Graue Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Nimtsch
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Wade des ihm zugewandten, linken Beins und zog es aus dem Bett, während er ihre Reaktion beobachtete.
    „Hund!“, dröhnte es.
    Das linke Bein war schon mal draußen. Wehgetan hatte das offenbar nicht, sie hatte keine Miene verzogen.
    „Schön ruhig.“
    Immer auf der Hut vor einem unerwarteten Angriff, fasste er sie an der Hand und zog ihren Oberkörper nach oben.
    Sie schien sich der Übermacht seiner Muskelkraft zu beugen und ließ sich an den Bettrand setzen. Wieder kein Zeichen von Schmerzen. Wenn sie jetzt auch noch liefe, hätte sich Hansen wohl getäuscht mit der Fraktur.
    Kevin zog ihr die Schuhe an.
    „So, kommen Sie, ich helfe Ihnen ins Bad“, kommentierte er wieder.
    Sie schien sich zu fügen. Aber der Schein trog. Sie bewegte sich keinen Schritt vorwärts, wollte anscheinend vor ihrem Bett stehen bleiben. Kevin zog ihren Arm ein paar Millimeter in Richtung Nasszelle. Sie lies sich fallen und er musste sie regelrecht auffangen.
    „Frau Müller! Kommen Sie, wir müssen ins Bad. Wir kommen zu spät zum Frühstück!“
    Kevin fluchte innerlich. Sie hatte einen Fuß etwas nach vorn gesetzt. Den Oberkörper nach hinten gebeugt, stemmte sie sich nun dagegen. Er zog kräftig an ihr und war doch immer darauf bedacht sie aufzufangen, falls sie sich wieder fallen lassen sollte. Sie neigte sich bedrohlich nach vorn. Aber dann schien sie doch zu erkennen, dass der Pfleger ihr an Kraft überlegen war, oder zu glauben, dass er sie fallen lassen würde. Sie machte einen Schritt nach vorn. Kevin zog weiter. Sie setzte den anderen Fuß nach vorn.
    Langsam bewegten die beiden sich so in Richtung Bad. Dabei standen sie sich mit ausgestreckten Armen gegenüber wie ein Polka tanzendes Paar. Kevin zog rückwärts gehend an ihr, sie ließ sich mit winzigen Tippelschritten ziehen. Er verfluchte seine Entscheidung, mit ihr zu laufen. Irgendwo stand sicher ein Rollstuhl herum, damit wäre er schon wesentlich weiter.
    Als Kevin es endlich geschafft hatte, sie von ihrem Hosenkleid zu befreien und auf die Toilette zu setzten, fing sie wieder an, laut zu schimpfen.
    „Neinzig, neinzig, neinzig!“, donnerte es Kevin ans Trommelfell.
    Jetzt aber los, dachte er. Allein um sie aus dem Bett zu holen, hatte er wahrscheinlich eine Viertelstunde gebraucht. Wie ein Feuerwehrmann bei Alarm riss er den Bügel mit den vorbereiteten Kleidern aus dem Schrank, hängte sie über den Handtuchtrockner an der Wand im Bad und ließ danach Wasser ins Waschbecken.
    Er versuchte wieder einmal kurz eine schulmäßige Aktivierungsmaßnahme, indem er ihr den nassen Waschlappen über die Hand stülpte und erklärte, sie könne sich nun waschen. Erstaunlicherweise protestierte sie nicht. Er war sich sicher, dass diese Maßnahme erfolglos verlaufen würde, aber er musste sowieso ihr Bett machen. Das könnte er jetzt tun.
    Im Wohn- und Schlafzimmer war es etwas kühler als im Bad. Vor ihrem Bett merkte er, dass er schweißnass war. Sein Körper versuchte, den Alkohol loszuwerden.
    Mit geübten Handgriffen wechselte er das nasse Spannlaken. Wenigstens musste er nicht das ganze Bett neu beziehen.
    Als er wieder in die Nasszelle kam, saß sie starr und steif so auf der Toilette, wie er sie vor zwei Minuten verlassen hatte: Bis auf das Handtuch auf ihrem Schoß unbekleidet, den Waschlappen über der rechten Hand, zehn Zentimeter von ihren Gesicht entfernt, wie die Skulptur Sich Waschende Alte des unbekannten Künstlers Kevin Linde.
    „Hygiene muss sein“, teilte der Pfleger ihr kurzerhand mit, nahm ihr den Lappen ab und wusch sie. Sie ließ es sich unbeweglich verharrend und mit versteinerter Miene gefallen. Auch konnte er ihr problemlos Unterhemd, Unter- und Strumpfhose, Schuhe sowie die obligatorische Netzhose anziehen. Zu jeder Handlung gab Kevin kurze Anweisungen, wie: „Bitte aufstehen!“, während er sie schon an Hand und Oberarm fasste und in den Stand zog. Alles klappte wie am Schnürchen.
    Routiniert legte er ihr das Handtuch über die in Kniehöhe hängenden Hosen zwischen die Beine. Die Intimpflege schien sich doch etwas komplizierter zu gestalten. Frieda Müller kniff die Beine zusammen. Sie war wohl doch eher ein Fall für eine weibliche Pflegekraft. Wieso haben sie überhaupt mich reingeschickt?, fragte sich Kevin plötzlich. Allerdings war er nun schon hier, und was sein musste, musste sein.
    „Sie wollen doch keine Infektion bekommen, oder?“
    Diese Erklärung für das, was er nun zu tun gedachte, hatte sie wohl nicht verstanden. Ohne

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