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Graue Schatten

Graue Schatten

Titel: Graue Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Nimtsch
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zeigte die Uhr? Zwanzig vor neun. Heiland Sakra! Wie sollte er das schaffen?
    Er ließ sich von Renate, die im Schwesternzimmer Insulinspritzen aufzog, nun doch eine Aspirin geben, weil er spürte, wie es in seinem Kopf wieder zu hämmern begann. Auch ihr teilte er seine Meinung zum vermeintlichen Bruch bei Frieda Müller mit. Renate meinte nur, er solle das nachher dokumentieren, und erinnerte ihn mit einem demonstrativen Blick auf die Pflegetafel an der Wand an den Grund seiner Anwesenheit auf der Station.
    „Bin schon weg.“
    Der Zeitdruck verpasste ihm nochmals einen Adrenalinstoß. Eineinhalb Stunden später hatte er drei weitere Schwerstpflegebedürftige aus den Betten geholt, sie gewaschen, angezogen, frisiert, in den Aufenthaltsraum oder zu ihrem Tisch im Zimmer gebracht. Darüber hinaus hatte er Stützstrümpfe angezogen, Füße mit Cortisonsalbe eingerieben, eine weitere Flasche Flüssignahrung an eine Magensonde angeschlossen und, so gut es im Eiltempo ging, den Verband eines eitrigen Geschwürs gewechselt.
    Verschwitzt und erschöpft saß er zwei Minuten vor neun im Dienstzimmer und begann, seine Arbeit zu dokumentieren. Seine Finger zitterten. Scheiß Alkohol!, fluchte er stumm.
    Wunde von BW noch vereitert. Bitte Dr. Hansen informieren , schrieb er in einen Bogen und zog mit der Spitze des Kugelschreibers den gelben Reiter aus der Signalleiste der Flachkartei, als Hinweis auf seine Mitteilung an den behandelnden Arzt.
    Anna kam zur Tür herein.
    „Fertig? Können wir frühstücken gehen?“
    Kevin hatte noch ein paar Eintragungen zu machen.
    „Moment noch“, murmelte er.
    Anna blies ungeduldig Luft durch dicke Backen und lehnte sich betont gelangweilt gegen den Türrahmen. Sollte heißen: Ich bin schon fertig!
    Im Gang waren Renates und Larissas Stimmen zu hören. Sie kamen soeben vom Frühstück zurück.
    Als Kevin zwei Blutdruckwerte in ein Kontrollblatt für Vitalzeichen eintrug, schallte Renates Stimme schon zur Tür herein: „Hallo, wir sind wieder da. Und, Kevin, lebst du noch?“
    „Gerade so.“
    „Dann schlage ich vor, dass ihr jetzt in eure Pause geht“, sagte Renate.
    „Ich habe nur noch zwei, drei Sachen einzutragen“, entgegnete der Pfleger gehetzt.
    „Das kannst du nach dem Frühstück machen, Kevin.“, hielt Renate dagegen. „Oder heute Mittag, vor der Übergabe“, fügte sie hinzu. „Ihr solltet Viertel nach neun wieder oben sein! Um halb zehn ist der Krankentransport da. Frau Müller muss vorher noch mal auf Toilette gebracht werden.“
    „Alles klar.“ Allzu gerne kam Kevin Renates Aufforderung nach. Er klappte das Kardex zu und legte den Stift weg.
    „Und bring gleich deine Jacke aus der Garderobe mit, wenn du unten bist“, hörte er Renate sagen.
    Jacke?
    Wie immer, wenn er etwas nicht verstanden hatte, ließ er wortlos seine grauen Zellen rotieren, darauf hoffend, dass sich das Problem ohne eine dumme Frage seinerseits aufklären würde. Aber im Moment war er überfordert.
    „Was ist?“, fragte Renate, als sie sah, dass er in der Tür stand und sie anschaute, anstatt endlich frühstücken zu gehen.
    „Ich soll meine Jacke mitbringen ...“
    „Also doch!“ Renate wirkte verärgert. „Hast du heute Morgen also gepennt. Ich hab's schon geahnt. Für dich also jetzt noch eine Extra-Übergabe!“, schimpfte sie. „Frau Müller hat einen Termin beim Röntgen im Krankenhaus Heilbronn Gesundbrunnen und du darfst sie begleiten. Da kannst du deinen Kater auskurieren.“
    Kevin wusste, dass die Stationsleiterin einerseits viel Verständnis für die privaten Probleme der Mitarbeiter, aber andererseits im Moment genug eigene Sorgen hatte. Sie konnte keinen zusätzlichen Stress gebrauchen.
    „Tut mir leid, ich werde mich bessern.“ Er versuchte das arrogante Lächeln zu unterdrücken, das er gewöhnlich bei jeder Art von Standpauke aufsetzte.
    „Ich danke dir“, sagte sie halb ironisch. „Und jetzt macht, dass ihr fort kommt!“
    „Kaffee ist in der Thermoskanne auf dem Tisch“, rief sie den beiden noch hinterher, als Anna schon die Treppenhaustür aufhielt.
    Die Cafeteria befand sich im Erdgeschoss. Im Raum, in dem die Mitarbeiter frühstückten und auch rauchen durften, saßen bereits zwei Personen. In der einen Ecke, direkt an einer der Glaswände, die der Cafeteria das Ambiente eines Wintergartens verliehen, lümmelte Locke. Er hob lässig seine Rechte zur Schwurhand, als er die beiden sah. Schräg gegenüber, abseits der Tische, an denen gewöhnlich die

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