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Graue Schatten

Graue Schatten

Titel: Graue Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Nimtsch
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dachte Strobe.
    „Deinen Computer brauchst du nicht erst hochzufahren, in zwanzig Minuten müssen wir beim Amtsgericht sein.“

    Die Bullen hatten ihn in Handschellen hierher, ins Amtsgericht, gekarrt. Nun saß er in diesem Gerichtssaal, der ihn an ein Klassenzimmer im Gutenberg-Gymnasium erinnerte, und musste auf den Richter warten. Ein Grünhemd mit einem Stern auf jeder Schulter stand stumm neben der Tür und passte auf, dass Kevin nicht aus dem vergitterten Fenster sprang und weitere alte Menschen tötete.
    Er hörte Stimmen vor der Tür. Er erkannte die des Alten. Strobe hieß er, erinnerte sich Kevin. Mehrere Personen begrüßten sich nun draußen und unterhielten sich, scheinbar gut gelaunt. Er hörte das Wort Staatsanwalt heraus. Dann erkannte er deutlich die sonore Stimme des zweiten Uniformierten, der Kevin hierher begleitet hatte. Sicher berichtete er jetzt diesem Strobe, dass der Untersuchungshäftling eine Aussage machen wollte.
    Wie vermutet ging auch gleich die Tür auf und Kevin hörte Harrys Stimme draußen auf dem Flur leise, aber nicht leise genug frohlocken: „Ich rieche das Wochenende.“
    Kevin verstand: Geständnis gleich Wochenende. Das hätte ihm fast ein schadenfrohes Lächeln entlockt. Es fiel ihm aber nicht schwer, sich's zu verkneifen als Strobe eintrat und fragte: „Herr Linde, Sie wollen uns etwas sagen?“
    Kevin nickte. Er schaute kurz zur Tür, wo Harry mit fast schon freudiger Erwartung in den Augen stehen blieb. Das hatte Kevin bemerkt, obwohl er sich sofort wieder abwendete und geradeaus in den kleinen Gerichtssaal hinein starrte. Harry traut sich wohl nicht näher, weil er Angst hat, dass ich's mir anders überlege, dachte er. Wird ihm aber nichts nützen, er wird auch so gleich kein Wochenende mehr riechen.
    Strobe hatte sich zu Kevin an den Tisch gesetzt.
    „Bitte, was wollen Sie uns sagen?“, fragte der Hauptkommissar.
    „Mir ist etwas eingefallen“, begann Kevin mit einem unangenehmen Druck im Magen. „Ich weiß jetzt, wer das Diazepam aus dem Giftschrank gestohlen hat!“
    Kevin konnte ohne hinzusehen die Enttäuschung bemerken. Vor allem bei Harry. Auch Strobe musste wohl einen Moment lang umdenken. Dann forderte er Kevin auf, zu erzählen.
    Der Pfleger berichtete nun, was ihm vorhin in diesem Verhörraum in der Polizeidirektion, als er noch seinen Kaffee hatte austrinken dürfen, eingefallen war. Obwohl er immer noch vergeblich nach einem mysteriösen Detail der Mordnacht in seiner Erinnerung kramte, war ihm etwas anderes klargeworden. Etwas, das er anscheinend ebenso verdrängt hatte – weil es so verdammt weh tat.
    Die Tasse Kaffee war es wohl gewesen, die die Gedankenverknüpfung auslöste. Gestern Morgen hatte er nämlich genauso wie heute bei seinem Morgenkaffee gesessen. Aber gestern in der Cafeteria des Sonnenweiß-Stifts, zusammen mit Locke. Und dem hatte er seinen Schlüsselbund gegeben, damit er Kevins Tabak aus seinem Schließfach holen konnte! Der Schlüssel für den Giftschrank war dabei! So fies und enttäuschend es war, es konnte nicht anders sein! Dass Renate oder Bodo geschlampt, die Ampulle weggeworfen hatten und das jetzt nicht zugeben wollten, war sehr unwahrscheinlich. Eher traute er seinem durchgeknallten Freund zu, dass er das Zeug aus dem Giftschrank geklaut hatte. Der konnte das in seiner Drogensammlung sicher gut gebrauchen.
    Der Herr namens Strobe schien die Geschichte ernst zu nehmen.
    „Wir werden dem nachgehen“, sagte er.
    „Tolle Story. Wird aber keinen Einfluss auf die Haftprüfung haben“, meldete eine Stimme aus dem Hintergrund. Harry war definitiv sauer.
    „Da hat er allerdings recht.“ Strobe nickte nachdenklich und musterte Kevin intensiv. So als wollte er seine Gedanken lesen. Dann fuhr er fort: „Es spricht zu viel gegen Sie, Herr Linde. Wenn wir Sie jetzt laufen lassen, könnten Sie Zeugen beeinflussen. Bewohner, Mitarbeiter, Angehörige. Wir sind mitten in den Befragungen. Aber wir werden auch diesem Hinweis nachgehen“, wiederholte er und stand auf.
    Die beiden gingen und schlossen die Tür von draußen. Nur der Einsternegeneral stand noch an der Wand. Er steckte sich eine Zigarette an. Kevin sah kurz zu ihm hin. Der Bulle machte keine Anstalten ihm eine anzubieten und er würde den arroganten Deppen nicht fragen, ob er ihm eine spendierte.
    Er musste wieder an Locke denken. Wenn der wirklich die Ampulle geklaut hatte – das wäre an sich unglaublich! Aber sollte das etwas mit dem anderen Geschehen zu tun haben?

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