Graue Schatten
begeistert“, stellte Schell fest, als Strobe aufgelegt hatte. Er hatte das Gespräch zwischen der Kriminaltechnikerin und Strobe über die Lautsprecher im Auto mitgehört. Der Hauptkommissar hatte Uschi Eckert zum Dank dafür, dass sie ihren freien Samstag im Labor verbracht hatte, noch einen Spezialauftrag aufs Auge gedrückt: Sie sollte nach Lauffen fahren und Fingerabdrücke am und im Giftschrank auf Station B sichern. Und ja, es musste heute sein! Wer weiß, ob nicht jemand am Wochenende auf die Idee käme, den Tresor zu putzen, bei den Hygieneanforderungen in so einem Pflegeheim.
Unmittelbar vorher hatten die Kommissare von Uschi erfahren, dass die Untersuchungen der Schuhspuren und der Erdproben abgeschlossen waren. Das Ergebnis war eindeutig: Keins der fünf Schuhpaare hatte die Stelle betreten, an der Frau Müller in die Senke gestürzt war.
Das machte die Ermittlungen im Fall Müller nicht leichter. Es bedeutete: Weder Kevin Linde noch Anna Kirchner, Larissa Groß, Hartmut Locke oder die Pflegerin von Station D waren am Donnerstagmorgen an der Unglücksstelle gewesen. Möglich wäre aber ebenfalls, dass eine der fünf Personen ein zweites Paar Arbeitsschuhe besaß, und jenes einfach abgegeben hatte. Von Donnerstag bis Freitag wäre genug Zeit gewesen, die Schuhe zu tauschen.
„Ist eigentlich Uschis dienstfreies Wochenende, oder?“, plauderte Schell.
„So wie unseres auch,“ antwortete Strobe und gab sanft Gas. Der Wagen brummte mürrisch, rollte aber gehorsam, zügig über die Bundesstraße den Weinberg hinauf.
Die Kommissare waren nach der kurzen Verhandlung vom Amtsgericht Heilbronn aus direkt nach Lauffen aufgebrochen. Die Haftprüfung war, wie erwartet, ungünstig für Kevin Linde ausgefallen. Es bestünde auf jeden Fall Verdunklungsgefahr, hatte der Richter gemeint. Der Beschuldigte hätte die Möglichkeit Zeugen zu beeinflussen und damit die Ermittlung der Wahrheit zu erschweren. Die Indizien sprächen eindeutig gegen den Verdächtigen. Und es sei zu erwarten, dass durch die Obduktion weiterer verstorbener Bewohner noch mehr belastende Indizien zum Vorschein kommen würden. Deshalb hatte der Richter sieben Tage U-Haft angeordnet. Kevin Linde hatte das ohne erkennbare Regung zur Kenntnis genommen.
Während der Fahrt, kurz vor Lauffen, schlug Schell vor, sich die Arbeit aufzuteilen und die Befragungen im Sonnenweiß-Stift getrennt durchzuführen. Er hatte immer noch Hoffnung, einen Teil des Samstagnachmittags zu retten und abends zu irgendeiner Party zu gehen. Strobe hatte nichts dagegen einzuwenden, dass sie getrennt ermittelten, es gab genug zu tun. Sie vereinbarten, Schell sollte zuerst bei Larissa Groß zu Hause klingeln und sie nach Bettina Richters neuer Adresse fragen. Natürlich auch, ob sie etwas zu Lindes neuester Behauptung, Hartmut Locke habe das Beruhigungsmittel gestohlen, sagen konnte. Sie war immerhin gestern Morgen auch da gewesen. Schell sollte sie auch noch einmal über weitere verdächtige Bewohner oder Mitarbeiter befragen und die Arbeitsschuhe ansprechen. In der Zwischenzeit wollte Strobe im Heim mit Mitarbeitern und Bewohnern reden, zuerst natürlich mit Frau Schmidt.
Sie parkten wieder auf dem Besucherparkplatz vor dem Haus. Schell lief rechts um das Haus herum zum Gebäude mit den Personalwohnungen. Strobe ging zum Haupteingang. Falls der Pflegedienstleiter da sein sollte, würde er Strobe sicher gleich sehen und ihn wahrscheinlich verfluchen. Der Kommissar fragte sich, ob Stur auch so mit seinem Job verheiratet war wie er selber, oder ob er übers Wochenende versuchen würde, sich zu Hause vom Schock der letzten Tage zu erholen.
Ohne in den Büros nachzuschauen, ob von den Chefs jemand da war, ging Strobe sofort nach oben.
Auf Station B räumte ein junger Pfleger, dessen Statur Strobe an eine Birke erinnerte, vielleicht auch wegen der weißen Kleidung, die Tische ab. Er schmettert Strobe ein freundliches Grüß Gott herüber, mit einer Stimme, die nicht zu dem Birkenstämmchen passte. Es war zwar erst Viertel nach zwölf. Aber hier wurde ja schon um halb zwölf Mittag gegessen, erinnerte sich der Hauptkommissar. Sein eigenes Mittagsmahl würde er wohl wieder später an der Imbissbude einnehmen.
Strobe sah von Weitem das grüne Lämpchen über dem Schwesternzimmer leuchten, was bedeutete, es hielt sich dort jemand auf. Er steuerte darauf zu. Durch die offene Tür sah er den Schichtleiter sitzen, den er gestern Nachmittag nach der verschwundenen Ampulle gefragt
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