Grauen im Grand Hotel
Haar. »Darf ich fragen, von welcher Toten Sie sprechen, mein Herr…?«
***
Klar, dachte ich. Klar, so hat es ja kommen müssen. Nur nichts zugeben, sich dumm stellen, alles abstreiten, lächelnd lügen und den großen Max markieren.
»Das wissen Sie genau, Satorius!«
»Nein, tatsächlich nicht.«
»Dann haben Sie auch nicht auf mich geschossen?«
»Ich?« Er lachte mir schallend ins Gesicht. »Leiden Sie an Halluzinationen?«
»Bestimmt nicht. Und dieser Wagen ist nicht zufällig abgefahren —oder?«
»Doch — ja.«
»Wie schön.«
Er kam auf mich zu, deutete auf meine Waffe. »Warum stecken Sie das Ding nicht weg. Ich weiß nicht, was das soll, was Sie hier vorhaben? Wollen Sie mich ausrauben?«
»Nein.«
»Dann ist es doch einfach lächerlich, wenn Sie hier mit einer Pistole herumlaufen.«
»Für mich nicht. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, daß Monica Grandi sich umbrachte.«
»So. Und wo soll das gewesen sein?«
»In Ihrem Haus, Satorius.«
Er verzog den Mund und tat so, als wolle er nachdenken. Dann meinte er, wobei er sehr jovial tat: »Da ich das Gegenteil behaupte und wir uns wahrscheinlich nicht einig werden können, schlage ich vor, daß Sie einen Blick in mein Haus werfen. Ich könnte es auch ablehnen, aber ich gehe hier meiner Arbeit nach, einer sehr wichtigen übrigens, und ich möchte nicht, daß sie gestört wird.«
»Ich nehme das Angebot an.«
»Gern.«
Er zeigte nicht einmal die Spur einer Überraschung, was mich mißtrauisch machte. Bevor ich noch einen Fuß in das Haus gesetzt hatte, wußte ich, daß ich der zweite Sieger sein würde. Er und sein Helfer hatten nur wenige Minuten Zeit gehabt, diese aber optimal genutzt. Wahrscheinlich war die Leiche in dem Kleinbus weggeschafft worden.
Dr. Satorius wollte mir den Vortritt lassen, ich aber war dafür, nach ihm zu gehen.
»Wie Sie wollen.«
»So verlangt es doch die Höflichkeit — oder?«
»Selbstverständlich.«
Das Haus war innen größer, als es von außen ausgesehen hatte. Bereits hinter dem Eingang befand sich ein Therapieraum, in dem eine Reihe Korbstühle standen, auf denen jeweils rote Sitzkissen lagen.
»Sitzen hier Ihre Patienten, Satorius?«
»Meine Gäste, bitte. Als Patienten möchte ich sie nicht bezeichnen. Das hört sich zu stark nach Krankheit an.«
»Ist das nicht gleich?«
»Für mich nicht.« Er deutete in die Runde. »Wo, um aller Welt, haben Sie etwas Schlimmes gesehen?«
»In einem Wohnraum.«
»Ah ja«, sagte er, hob einen Arm und deutete nach vorn. »Kommen Sie mit, ich weiß Bescheid.«
Wieder ging er vor mir her. Wir durchquerten einen sehr kleinen Flur, an dessen Wänden Bilder hingen, die alpenländische Motive zeigten. Ich nahm dies aus den Augenwinkeln wahr, wichtig war es nicht. Zudem blieb ich auf der Hut, meine Hand befand sich stets nahe der Beretta, doch der vor mir gehende Psychologe traf keinerlei Anstalten, sich verdächtig zu benehmen.
Er hielt mir die Tür auf. »Dieses Zimmer haben Sie wohl gemeint, nehme ich an.«
»Ja, das stimmt.«
»Schauen Sie sich um.«
Ich sah die Couch, den Sessel, ich sah auch das zerstörte Fenster. Es war der einzige Hinweis auf die Schießerei.
Satorius hatte meinen Blick bemerkt. Er lachte plötzlich. »Sie nehmen an dem Fenster Anstoß?«
»So ist es.«
»Ein Mißgeschick«, erklärte er. »Ich werde es noch heute reparieren lassen.«
»Es wurde nicht durch eine Kugel zerstört?«
Er schüttelte beinahe wütend den Kopf. »Was haben Sie immer mit Ihrer Kugel? Sehen Sie eine?«
»Draußen werde ich welche finden.«
»Ich kann Sie daran nicht hindern. Da fällt mir ein, mein Herr. Wer sind Sie eigentlich?«
»Ich komme aus London.«
»Ah — wie nett. Ich kenne die Stadt. Hübscher Ort. Sie hätten dort bleiben sollen. Oder wollen Sie hier im Engadin Urlaub machen?«
»So kann man es nicht gerade nennen.« Ich war an den Platz getreten, wo Monica Grandi gesessen hatte. Mich interessierte dessen Umgebung, und Satorius wunderte sich darüber, daß ich mir sie so genau anschaute.
»Suchen Sie etwas?«
»Blut.«
Er mußte lachen. »Glauben Sie, daß sich jemand in den Finger geschnitten hat?«
»Das nicht gerade. Eher in die Kehle.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber jetzt verstehe ich gar nichts mehr.«
»Macht nichts, das ist mein Problem.« Ich ärgerte mich darüber, daß ich nichts sah. Dieser Kerl hatte es geschickt verstanden, die Spuren zu verwischen, falls je welche existiert
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