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Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)

Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)

Titel: Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dissieux
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Haufen grauer Asche zu verwandeln.
»Woher wollen Sie wissen, was in Stonington wirklich los ist, wenn Sie einfach geflüchtet sind?«
Der Fremde antwortete nicht. Stattdessen formten sich aus den Schatten hinter ihm zwei weitere Gestalten. Eine Frau, deren schmutziges Haar hochgesteckt war, sowie ein kleines Mädchen von etwa sechs Jahren, das sich ängstlich am Kleid seiner Mutter festhielt.
»Meine Familie war mir wichtiger«, sagte der Soldat schließlich, als er bemerkte, dass sie nicht mehr alleine waren.
Die Frau wechselte einen Blick zwischen den Männern, dann legte sie ihre Hand auf das Gewehr des Soldaten und drückte es sanft nach unten. Der Fremde schien unschlüssig, ließ jedoch den Lauf der Waffe widerwillig zu Boden sinken.
Wie ein Geist kam die Frau um den Tresen herum und blieb einige Schritte vor Wulf und Demi stehen. Sie hätte eine schöne Frau sein können, wären nicht diese traurigen Augen und eine Härte in ihrem Gesicht, die ihre weichen und sinnlichen Züge verdrängten. Das kleine Mädchen war hinter dem Tresen geblieben und schmiegte sich jetzt gegen das Bein ihres Vaters, der ihr mit der Hand durch das blonde Haar strich.
»Sie müssen entschuldigen«, flüsterte die Frau mit sanfter Stimme. »Wir sind seit zwei Wochen alleine hier und hatten die Hoffnung aufgegeben, auf lebende Menschen zu treffen.«
»Martha!«
Der Mann versuchte seine Frau zurückzurufen. In seinen Augen waren Furcht und Argwohn zu lesen. Doch Martha war bereits näher gekommen, um die Bücher aufzuheben, die Demi hatte fallen lassen. Das Mädchen wich unwillkürlich einen Schritt zurück.
Die Frau betrachtete die Einbände der Bücher und lächelte. »Charles Dickens«, murmelte sie und schüttelte den Kopf. »Ich habe diese Bücher als Kind geliebt. Ich hoffe, dass unsere Tochter eines Tages auch diese Bücher wird lesen können.«
Sie blickte auf und sah Demi an, wie es wohl nur eine Mutter tun konnte. »Ich werde ihr das Lesen beibringen. Sie soll es einmal gut im Leben haben.«
»Martha!«
Das Lächeln verschwand vom Gesicht der Frau. Sie drehte sich zu ihrem Mann um und machte Anstalten, zu ihm zurückzugehen. Doch dann wandte sie sich noch einmal an Demi.
»Nimm sie«, sagte sie leise und überreichte ihr die Bücher wie ein Tablett.
Demi zögerte. Ihr Blick wechselte zwischen der Frau und den dargebotenen Büchern. Dann nahm sie das Geschenk mit langsamen Bewegungen und drückte sie fest gegen ihre Brust. Ihre Lippen formten Worte, doch kein Laut drang aus ihrem Mund. Martha schenkte sowohl Demi als auch Wulf ein trauriges Lächeln. Dann ging sie hinter den Verkaufstresen zurück und gesellte sich zu ihrem Mann.
»Kommen Sie mit uns«, sagte Wulf und sah dabei den Fremden an.
Doch dieser schüttelte sofort den Kopf.
»Der Ort ist sicher«, sagte er. Seine Stimme hatte die anfängliche Härte verloren. »Seit ich einige der Bestien abgeknallt habe, meiden sie die Häuser.«
Der Stolz in den Worten des Soldaten war nicht zu überhören. Doch dann legte sich binnen einer Sekunde ein tiefer Schatten über sein Gesicht.
»Ich habe bei den Angriffen eine Tochter verloren«, verkündete er mit brechender Stimme.
»Louis …«
Martha legte ihm eine Hand auf den Arm, die der Mann mit einem leisen Seufzen ergriff.
»Ich werde nicht zulassen, dass meinen beiden Frauen hier etwas geschieht. Sie sind alles, was mir geblieben ist.« Er nickte in Richtung Straße. »Da draußen ist es zu gefährlich. Überall hausen und lauern diese Kreaturen. Weiß Gott, wo sie hergekommen sind. Und ich will es auch gar nicht wissen. Wir haben hier alles, was wir brauchen. Und hier sind wir sicher.«
Die letzten Worte lagen voller Trotz. Er legte den Arm um seine Frau und drückte sie an sich, während sich das Mädchen weiterhin am Bein ihres Vaters festhielt.
›Der Mann besitzt mehr als ihm bewusst ist‹, dachte Wulf und spürte einen bitteren Kloß seine Kehle emporsteigen. Er war wahrscheinlich der einzige Mensch auf der Erde, dem das Glück zuteil wurde, eine Familie zu haben. Wulf konnte die Worte des Mannes nur zu gut nachvollziehen. Auch wenn sie in dem Ort ein karges Leben führen würden, so befanden sie sich hier doch in Sicherheit und konnten sich berechtigte Hoffnungen auf eine Zukunft machen. Vielleicht würde Martha dem Mädchen eines Tages wirklich das Lesen beibringen.
Wulf beneidete den Mann. Der ehemalige Soldat besaß, was ihm nicht vergönnt war. Er dachte an die Gerechtigkeit im Namen des Herrn, von der in den

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