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Graues Land (German Edition)

Graues Land (German Edition)

Titel: Graues Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dissieux
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etwas Neues zu bringen, das sie entdecken konnte. Selbst ein Sonnenuntergang, wie wir ihn schon zu Dutzenden von unserer Veranda oder aus meinem Impala heraus bestaunt hatten, enthielt immer wieder neue Farben und Gerüche für sie.
    Ihre Augen strahlten, als würde man einem Kind am Weihnachtsmorgen seine Geschenke geben. Und genau das war es, wieso die Hügel selbst für mich immer wieder aufs Neue erstrahlten, wenn ich Sarah an meiner Seite hatte. Sie schenkte mir stets etwas von ihrer kindlichen Freude und der Fähigkeit, Dinge zu sehen, die für andere alltäglich geworden waren. Deshalb liebte ich sie immer noch wie am ersten Tag, und war mir damals schon sicher, dass dieses Gefühl nie abklingen würde. Selbst in vierzig Jahren nicht.
    »Denkst du, dass Gott das mit Absicht macht?«, fragte sie und sah mich an.
    »Was meinst du?«
    Sie deutete mit dem Arm über die ganze Windschutzscheibe.
    »Na, das. Ich meine, es gibt auf der ganzen Welt nichts Schöneres. Vielleicht will Gott uns damit sagen, dass nicht alles schlecht ist. Dass es auch Momente im Leben gibt, in denen nur ein Sonnenuntergang zählt und all das Böse in der Welt am Rande unseres Sichtfeldes verblasst.« Sarahs Gesicht wurde ernst. »Ob uns der Sonnenuntergang in der Stadt genauso gut gefallen würde?« Wieder sah sie mich an, und ich bemerkte, dass es ihr mit dieser Frage durchaus ernst war.
    Das waren die Momente im Leben, in denen man als Mann nur das Falsche sagen konnte. Doch ich war in der beneidenswerten Lage, dass ich genauso dachte und fühlte wie Sarah. Deshalb hatten wir vor fünf Jahren auch zueinandergefunden. Und aus diesem Grund verstand ich durchaus, was sie mit dieser Frage meinte.
    »Nein«, sagte ich leise, zog sie an mich und brachte ihre Wange nahe an meine. Die letzten Sonnenstrahlen begannen in den Augen zu blenden. Über die Spitzen der Berge jenseits von Devon hatte sich ein rötlicher Schleier gelegt, der langsam die Hänge hinabkroch. »Ich glaube nicht, dass es in der Stadt überhaupt einen Sonnenuntergang gibt. Städte sind grau. Wo willst du die vielen Farben herholen? Außerdem ...« Ich zog Sarah noch näher an mich, berührte ihr Kinn mit den Fingerspitzen und drehte ihr Gesicht zu mir. Als sie mich anblickte, konnte ich das gleiche Glitzern in ihren Augen sehen, das sie dem Sonnenuntergang geschenkt hatte. »... außerdem würden die Leute in der Stadt den Sonnenuntergang gar nicht sehen können. Denn es gibt keine Sarahs dort, die sie ihnen zeigen könnten.«
    Sie lächelte, und ich küsste sie. »Dich gibt es nur hier.«
    Erinnerungen können die schrecklichsten Gefühle sein, zu welchen der Mensch fähig ist.
    Ich schüttele den Kopf, um wieder einen klaren Gedanken zu bekommen. Die Erinnerungen an Sarah und unsere gemeinsame Zeit überfallen mich oft wie ein lauerndes Tier, das mich aus den Schatten der Wälder anspringt, plötzlich und unerwartet. Immer, wenn ich die Straße hinunter nach Devon oder zu Murphys Laden fahre, kommen mir Begebenheiten in den Sinn, die ich im Laufe der Jahre fast schon vergessen hatte. Oftmals gebe ich mich ihnen hin, da diese Gedanken den einzigen Weg für mich bedeuten, wieder ein kleines Stückchen näher an meine Frau heranzurücken und mit ihr – zumindest für die Dauer der Fahrt – zu kuscheln.
    Das Erwachen aus diesen unbezahlbaren Träumen schmerzt jedes Mal. Doch in diesen Tagen, in denen die Welt jeden Platz, der mich je an Sarah erinnert hat, in einen dunklen, verdorbenen Fleck verwandelt, schmerzt sogar die Erinnerung.
    Behalte ich normalerweise Sarahs Gestalt als letzte Reflektion meiner Erinnerungen vor Augen und sehe sie gar noch einige Minuten neben mir im Wagen sitzen, so wird mir ihr Antlitz heute von dem Grau des neuen Tages mit brachialer Gewalt entrissen. Ich bin alleine und fahre durch ein Land, in dem es nur noch mich zu geben scheint. Meine Augen sind stur auf das graue und zerrüttete Band der Straße gerichtet. Das gleichmäßige Dröhnen des altersschwachen Motors und das protestierende Quietschen der Karosserie, wenn ich durch Schlaglöcher und über Äste fahre, erfüllen meinen Verstand wie ein Schwarm Insekten. Sie scheinen mich mit ihrem Zirpen und Schnattern zu verhöhnen, fressen am Rand meines Bewusstseins und lassen die Hügel wie dunkle Auswüchse erscheinen.
    Trotz des frühen Morgens hüllt sich der Tag in finstere Schatten. Die Berge und Felder, an denen die Straße vorbeiführt, ducken sich unter den grauen Wolken, die tiefer zu

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