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Graues Land (German Edition)

Graues Land (German Edition)

Titel: Graues Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dissieux
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hängen scheinen, als an anderen Tagen. Vielleicht ist es wirklich so, dass der Himmel auf die Erde fällt und alles Leben erlischt, denke ich und blicke zum Beifahrersitz. Mit der rechten Hand streiche ich über das zerschlissene Polster, dessen Nähte bereits aufreißen. Nicht einmal mehr Sarahs Abbild aus meinen Erinnerungen kann ich mir bewahren. Der Platz neben mir ist leer, das Polster kalt, so wie alles um mich herum.
    Instinktiv sucht sich meine Hand ihren Weg zum Radio. Gerade will ich es einschalten, und sei es nur, um das statische Rauschen und Pfeifen zu hören, da taucht die Abfahrt zu Murphys Laden linkerhand auf. Der Anblick der schmalen Asphaltstraße, die sich zwischen zwei hohen Hecken hinunter zur Hütte schlängelt, reißt mich aus meinen Gedanken. Ich bremse viel zu stark ab, so dass der Wagen mit schlingernden Reifen zum Stehen kommt. Das Gewehr rutscht vollständig in den Schatten des Fußraumes, die Taschenlampe fliegt polternd hinterher.
    Mit zusammengekniffenen Augen starre ich die schmale Straße hinunter, die zu einem kleinen Parkplatz führt. Murphys alter Ford steht dort direkt vor den Holzstufen, die zum Laden führen. Braune Blätter tanzen in kleinen Wirbeln über den Platz, sonst ist er leer. Auf der Treppe zum Laden liegen die dürren Gerippe trockener Äste, die der Wind von den Birken gerissen hat, welche die Hütte in tiefen Schatten versinken lassen. Die Tür ist geschlossen, die beiden großen Fenster seitlich des Einganges mit großen Holzplatten vernagelt.
    Der Anblick lässt meine Hoffnung auf ein Gespräch mit Murphy sinken und macht mir gleichzeitig bewusst, welch ein Narr ich gewesen bin, mich überhaupt auf den Weg zu machen. Zu Hause liegt Sarah alleine im Bett und braucht mich mit Sicherheit dringender als der alte Murphy, der noch nie die Hilfe eines anderen in Anspruch genommen hat.
    Manche sagen, er sei ein verschrobener, merkwürdiger Kauz, mit dem nicht gut Kirschen essen sei. Die Leute kommen nur zu ihm, um ihre Einkäufe zu erledigen. Die wenigsten bleiben etwas länger, um mit Murphy ein paar Worte zu wechseln.
    Jenen, die mit Murphy nicht mehr als nötig zu tun haben wollen, kann ich nur Recht geben, denn wenn man sich etwas näher mit dem alten Mann befasst, merkt man schnell, dass er eine eigene Meinung zum Leben mit sich herumträgt und nicht gut auf seine Mitmenschen zu sprechen ist. Doch diejenigen, die Murphy, so wie ich, seit über vierzig Jahren kennen, wissen, was ihn zu solch einem derartigen Griesgram hat werden lassen. Denn es sind nicht seine Mitmenschen, denen er aus dem Weg zu gehen versucht, vielmehr glaube ich, dass Murphy in seinem Glauben an Gott gebrochen hat.
    Ich selbst habe Audrey sehr gut gekannt, und sie so gerne gemocht, als hätte ich sie mein ganzes Leben lang gekannt. Sie war eine bezaubernde, stille Person, ausgestattet mit dem größten und gütigsten Herzen, das man sich überhaupt vorstellen kann. Manchmal, wie ich sehr zu meiner Schande eingestehen muss, habe ich darüber sinniert, dass ich, hätte ich meine Sarah nicht kennengelernt, mit Sicherheit einen Menschen wie Audrey an meiner Seite hätte haben wollen. Diese Gedanken habe ich allerdings nie mit jemandem geteilt, weder mit Murphy noch mit Sarah. Beide hätten damit wohl wenig anfangen können.
    Murphy hatte Audrey über alle Maßen geliebt. Er hatte mir einmal anvertraut, dass er den Laden nur eröffnet hat, um seiner Frau ein besseres Leben zu ermöglichen, was er nicht gekonnt hätte, wenn er als einfacher Kurierfahrer weitergearbeitet hätte. Er wollte, dass Audrey glücklich war, und hatte dafür alles getan.
    In früheren Jahren waren wir oft zu viert nach Devon zum Tanzen oder Essen gefahren oder hatten uns ein paar schöne Stunden auf dem Volksfest gemacht, das zweimal im Jahr am Fuße der Hügel gastierte. Es waren unbeschwerte Augenblicke gewesen, in denen der Anblick unserer lachenden und schwatzenden Frauen bereits ein purer Genuss gewesen war.
    Damals war Murphy anders gewesen. Ich kann heute nicht mehr erklären, in welcher Form. Vielleicht offener, den Kopf nicht so voller verrückter Gedanken über Gott und dessen Art, seinen Geschöpfen das Leben zur Hölle zu machen. Vor allem hatte er damals nicht gewusst, was tiefempfundener Schmerz und brennende Trauer war. Das hatten wir beide nicht. Für ihn war das Leben mit Audrey und seinem kleinen Laden eine immer blühende Blumenwiese gewesen, über deren Gräser der Wind sanft dahin strich und auf ewig die

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