Graues Land (German Edition)
sporadischen Besuchen habe ich ihn oft kopfschüttelnd dabei beobachtet wie er das kleine Telefon benutzte, obwohl ich doch einen zuverlässigen Apparat in der Küche hängen hatte. Daher weiß ich, dass ich nur auf einen der Knöpfe drücken muss, um das Display zum Leuchten zu bringen.
Noch während ich mit dem Daumen über verschiedene Tasten streiche, frage ich mich, wie lange der Akku eines Handys wohl halten würde. Danny hatte sein kleines Telefon mit Sicherheit in den letzten zwölf Tagen nicht aufladen können. Und wer weiß, was er alles damit angestellt hat, was den gespeicherten Strom verbrauchen könnte. Mit Sicherheit hatte er in den ersten Tagen der Apokalypse versucht, alle Nummern anzuwählen, die er gespeichert hat. Und das mehrmals, weil er einfach nicht glauben wollte, dass er niemanden seiner Freunde oder von seiner Familie erreichen konnte.
Wie groß kann also die Möglichkeit sein, dass der Akku noch einen letzten Rest von Strom besitzt?
Doch noch bevor mich der Gedanke vollends auf den dunklen Grund meiner Depression hinabzieht, leuchtet mit einem Schlag das kleine Fenster des Handys in einem unwirklichen Blau auf, das mich im ersten Moment an das abendliche Fernsehbild längst vergangener Tage denken lässt. Kleine Bildchen erscheinen im Display vor dem Hintergrund einer sonnendurchfluteten Berglandschaft. Ich muss die Augen zu schmalen Schlitzen zusammenpressen, um unter den Zeichen »Kontakte«, »Nachrichten« und verschiedene andere Worte erkennen zu können. Wie viel Strom das Telefon besitzt, kann ich nicht sagen. Doch dem leuchtend roten Balken in der rechten oberen Ecke nach zu urteilen, würde ich nicht mehr lange Freude an diesem kompakten Gerät haben.
Ich spüre, wie sich eine hungrige Anspannung meiner bemächtigt. Mit einem Schlag sind Danny und Cindy vergessen. Hatte mein Besuch im Haus der Nachbarn womöglich doch noch etwas Gutes gehabt? War dies meine Belohnung dafür, dass ich in den dunklen, nach Blut und Urin stinkenden Zimmern des Hauses fast den Verstand verloren habe?
Ich drehe das Telefon erneut in den Händen, als könnte ich ein geheimes Fach entdecken. Das Gerät besitzt zweifelsohne noch einen letzten Rest Strom, wie ihn die Welt nicht mehr kennt. Aber braucht es nicht auch anderswo Strom, damit ich irgendjemanden mit diesem Wunder modernster Technik erreichen kann?
Im Fernsehen hatte ich einmal einen Bericht über Handy-masten und ihre Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen gesehen, die in unmittelbarer Nähe dieser Stationen lebten. Mittels dieser Masten wurden Gespräche und Nachrichten von einem Ort an den nächsten gesendet. Und ich glaube mich zu erinnern, dass der Reporter damals etwas von einem Notstromaggregat erzählt hat, das sich im Falle eines flächendeckenden Stromausfalls einschaltet, um die Versorgung der Handynutzer zu gewährleisten. Wie lange mochte ein solches Aggregat wohl die Stromversorgung übernehmen? Kann ich darauf hoffen, dass die Handy masten in den letzten zwölf Tagen nichts von ihrer Funktionalität eingebüßt haben?
Aufregung, wie die eines kleinen Kindes zur Weihnachtszeit, beginnt von mir Besitz zu ergreifen. In Gedanken gehe ich alle möglichen Leute durch, die ich jemals in meinem Leben kennengelernt habe. Menschen, von denen ich teilweise seit über zwanzig Jahren nichts mehr gehört habe und die mir mittels dieses Gerätes plötzlich wieder so nahe erscheinen. Ich denke selbst an Leute, deren Telefonnummer ich nie besessen habe, nur um mich in dem wärmenden Gefühl zu suhlen, mit einem Schlag nicht mehr alleine auf der Welt zu sein. Den ruinösen Gedanken, dass von all den Personen, die in meinem Kopf wie ein endloser Film ablaufen, wahrscheinlich kein einziger mehr am Leben ist, lasse ich nicht zu.
So sehr ich die Parade möglicher Stimmen, die mich durch dieses Handy erreichen mögen, auch genieße, so nenne ich mich doch im nächsten Augenblick einen ausgewachsenen Narren. Bei all meiner Besessenheit, die mein Herz wie einen alten Dampfhammer in der Brust dröhnen lässt, habe ich den einzigen Namen, der mir wirklich etwas bedeutet und der mir als einziger real und erreichbar erscheint, in keiner Sekunde in Betracht gezogen. Dabei hatte ich nie den Eindruck gehabt, ein derart schlechter Vater gewesen zu sein, dass ich mein eigen Fleisch und Blut ans Ende der Liste setze. Barrys Nummer habe ich stets aus dem Gedächtnis gewusst.
Wie ein Handy wirklich funktioniert, weiß ich nicht. Doch als ich damit
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