Graues Land (German Edition)
zorniges Schnauben aus. Ein Schwall weißer Wolken entstieg seinen Nüstern. Dann schüttelte es den Kopf, so dass ich selbst auf die Entfernung hin feine Wassertropfen aufspritzen sehen konnte. Die Nebelschwaden gerieten wie bei einem Theatervorhang in Bewegung. Schließlich wandte es sich ab, legte seinen Schädel schief, als lausche es auf etwas, und rannte in weitausholenden Sätzen auf den nahen Waldrand zu. Noch bevor die Kreatur die ersten Bäume erreichte, wurde sie vom trostlosen Grau des Nebels verschluckt.
Ich stand noch eine ganze Weile da, die Blecheimer in den Händen, und starrte in die Richtung, in die das Wesen verschwunden war. Doch der Tag hatte zu seiner alten, gespenstischen Stille zurückgefunden, und die Landschaft lag reglos vor mir. Lediglich der Nebel bewegte sich träge über die weite Wiese.
Ich weiß heute nicht mehr, wieso ich an die Shoggothen dachte, als ich diesem blasphemischen Geschöpf gegenüber gestanden habe.
H.P. Lovecraft war seit meiner Kindheit mein Lieblingsschriftsteller. Und jene Kreatur auf der Wiese hatte nichts mit dem künstlich entwickelten Protoplasma gemein, das Lovecraft in seinem Cthulhu-Mythos als eine Schöpfung der `Großen Alten´ darstellte. Laut der Legende waren Shoggothen in der Lage, temporäre Gliedmaßen aus ihrem Gewebe entstehen zu lassen, was sie zu effektiven Arbeits- geräten der `Alten´ machte. Jenes Wesen auf der Wiese wirkte dagegen nicht wie stupides Protoplasma, sondern wie eine Ausgeburt der Hölle, die über die Erde gekommen war.
Dennoch denke ich seit diesem Tag, wenn ich das furchterregende Jaulen in den Nächten vom Wald her höre, sofort an Lovecrafts Shoggothen .
Als ich den Pick-up erreiche und den Schlüssel ins Türschloss stecken will, merke ich, wie sehr meine Hände zittern. Erst nach mehreren Versuchen kann ich knarrend die Tür öffnen. Abgestandene, nach Tabak stinkende Luft schlägt mir aus dem Führerhaus entgegen.
Mein Gewehr lege ich auf den Beifahrersitz, auf dem Sarah früher immer mit mir zusammen zu Murphys Laden gefahren war. Seit ihrer Krankheit hat niemand mehr dort gesessen. Der Sitz symbolisiert etwas Heiliges für mich. Ebenso wie es der verrostete Wagen tut, denn es war unser Wagen gewesen.
Gerade als ich einsteigen will, kommt mir ein Gedanke, der so schlicht ist und der mich doch innerlich aufschreien lässt. So schnell es meine alten Knochen zulassen, laufe ich durch die Wellen des Grases zurück zur Hintertür.
Als ich die Küche betrete, brauchen meine Augen einige Momente, um sich an das Dunkel des Hauses zu gewöhnen. Dann durchsuche ich die Schubladen des alten Küchenschrankes, ohne mir einzugestehen, dass meine Bewegungen zunehmend fahriger und nervöser werden. Es gefällt mir nicht, mich ohne Waffe und Kerze in dem dunklen Raum zu befinden.
Ich habe in den wenigen Tagen, in denen die Welt sich weitergedreht hat, gelernt, dass sich das Heulen der Kreaturen nur auf die Nacht beschränkt. Daraus schließe ich, dass sich die Geschöpfe, sofern es denn mehrere von ihnen gibt, am Tage in die Wälder zurückziehen. Oder an andere Orte, an denen es dunkel und still ist.
Als ich die Kreatur auf der Wiese gesehen habe, war die Morgendämmerung noch nicht völlig hereingebrochen gewesen. Wahrscheinlich war es aus diesem Grunde so schnell in den Schutz des Waldes verschwunden. Hätte mich dieses Geschöpf bei Nacht erspäht, wer weiß, ob ich dann noch leben würde.
Endlich finde ich, wonach ich suche.
Als sich meine Finger um den kalten Griff der Taschenlampe schließen, fühle ich mich augenblicklich wohler. Ich überprüfe ihre Funktion und atme erleichtert auf, als ein heller Lichtkegel die Dämmerung in der Küche zerschneidet.
Zwar hat der Tag bereits begonnen, doch ich habe keinerlei Ahnung, wie die Welt jenseits des Zaunes aussieht.
Auch wenn ich diesen Gedanken nie zulassen würde, so bin ich mir doch sicher, dass sich das Leben in den Hügeln, wie ich es bisher kannte, in einen düsteren Alptraum verwandelt hat. Ob dies alles mit den schrecklichen Nachrichten zusammenhängt, die ich im Fernsehen gesehen habe, bevor alles auseinanderbrach, kann ich nicht sagen. Dies ist ein weiterer Punkt, über den Gedanken zu machen, ich mich weigere.
Die Zeiten haben sich geändert, so viel steht fest. Und alles, was noch zählt, ist jeden einzelnen Tag zu überleben, ohne wahnsinnig zu werden.
Mit der Taschenlampe bewaffnet, laufe ich auf die Veranda hinaus und verharre dort. Ein Instinkt, den ich
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