Grauzone: Der 13. Fall für August Häberle (German Edition)
Steilhängen beidseits des Tales die großen Herz-Jesu-Feuer
entzündet wurden und sich dann auf der engen Ortsdurchfahrt Hunderte von
Menschen drängen würden. Häberle hätte diese Feuer auch gerne gesehen, doch
erschien es ihm heute viel zu umständlich, das Wohnmobil nochmal »fahrbereit«
zu machen. Er zog sich in den Wagen zurück, machte ein Paar Saitenwürste warm
und aß sie mit Brot und Senf. Dazu gönnte er sich ein Weizenbier und ließ bei
sanfter Schlagermusik von Bayern 1 die Gespräche der vergangenen Stunden noch
einmal Revue passieren.
Zuvor
hatte er noch Susanne angerufen und ihr eine gute Nacht gewünscht – nicht
ohne sie an einige besonders schöne Erlebnisse zu erinnern, die sie bei
gemeinsamen Urlaubstagen im Tannheimer Tal gehabt hatten.
Als er
jetzt sein zweites Weizenbier öffnete und den Inhalt der Flasche stillos in
einen Plastiktrinkbecher goss, verdunkelte er das Wohnmobil mithilfe der
Jalousien und des leichten Rollos, das die Fahrerkabine vom Wohnraum abgrenzte.
Jetzt würde kein Licht mehr nach außen dringen.
Zwar hätte
er gern gewusst, wie lang Falkenstein, Fischer und Astor noch fortblieben, aber
es machte natürlich keinen Sinn, am dunklen Fenster zu sitzen und die halbe
Nacht zu warten. Außerdem konnte er von seinem Standort aus den Eingangsbereich
des Campingplatzes ohnehin nicht überblicken. Und weil die Schranke irgendwann
geschlossen wurde und die Männer deshalb draußen würden parken müssen, konnten
sie ziemlich unbemerkt zu ihren Wohnwagen gehen. Erschwerend kam hinzu, dass es
für Fußgänger nicht nur diesen einen Zugang bei der Schranke gab. Häberle
machte sich Notizen und beschloss, gleich am Vormittag Kontakt mit der Dame aus
dem GP-Wohnmobil aufzunehmen. Bis dahin würde Frau Fischer von ihrem Mann
erfahren haben, dass bereits ein Kommissar aus Göppingen angereist war.
Spätestens dann, wenn auch Falkenstein und Astor hier auftauchten, war es mit
seinem konspirativen Camperleben vorbei.
Während
er sich bereits der Müdigkeit hingab, fiel ihm Linkohrs Ankündigung ein, ihm
ein Foto von dieser Professorin zu mailen. Häberle holte den Laptop, der auf
dem Schränkchen im Heck stand und brachte ihn zum Tisch, wo er die
Monitorklappe öffnete und das Gerät zum Leben erweckte. Das Einloggen ins
E-Mail-Programm war so ziemlich das Einzige, was er am Computer problemlos beherrschte.
Ein
paar Minuten später hatte er die Auflistung der eingegangenen E-Mails vor
Augen. Neben viel Schwachsinn und Werbung stach Linkohrs dienstlicher Absender
hervor. Nach einigen Mausklicks hatte er die angehängte Bilddatei geöffnet. Das
Foto zeigte drei miteinander redende Personen, von denen eine mit Rotstift
umrahmt war. Es handelte sich um eine streng dreinschauende Brillenträgerin.
Mitte 40 vermutlich, kurze, braun gelockte Haare. Auf Anhieb sympathisch,
stellte Häberle fest. Dass ihre Gesichtszüge so hart erschienen, lag gewiss an
diesem Schnappschuss und am grobkörnigen Bildoriginal. Häberle versuchte, sich
das Gesicht einzuprägen. Dann klickte er das Foto weg und wollte bereits das
E-Mail-Programm wieder schließen, als er ein zweites Mail von Linkohr auf der
Liste sah – mit einem vielversprechenden Hinweis: »Achtung, Chef, es gibt was
Neues.«
Häberle
öffnete die Mail und las hastig: »Hallo Chef, die Blumenhändlerin hat mich auf
einen alten Herrn verwiesen, der etwas Interessantes zu berichten weiß. Während
des Krieges, vermutlich 1944, soll ein Mitarbeiter der damaligen Weinhandlung
spurlos verschwunden sein. Bitte erlauben Sie mir zu sagen, dass der Name
dieses Mannes mir das Blech weghaut: Er hieß Alfred Platterstein.«
Die
Mail endete grußlos. Offenbar war Linkohr tatsächlich maßlos überrascht, auf
den Nachnamen einer Person zu stoßen, die der Ahnengalerie von Plattersteins
verstorbenem Ehemann angehörte. Vermutlich war dieser verschwundene Alfred
Platterstein ein Bruder von Irene gewesen, die einen Mann namens Rattinger
geheiratet hatte und vor ihrem Tod im vergangenen August in die Fänge einer
Geistheilerin geraten war.
Häberles
Müdigkeit war wie weggefegt. War diese Namensgleichheit Zufall? Er beschloss,
Linkohr gleich morgen früh anzurufen.
Noch
während er den Plastikbecher, den er zum Weizenbierglas umfunktioniert hatte,
leer trank, vernahm er knirschende Schritte. Er hatte zwar die Jalousien
geschlossen, eines der Fenster aber gekippt gelassen, sodass Sicht-, aber kein
Geräuschschutz bestand. Häberle erhob sich aus dem Polster
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