Grauzone: Der 13. Fall für August Häberle (German Edition)
Schwerpunkte setzten, gab es auch Zitate aus Briefen, die
später Missionare an ihre Gemeinden geschrieben hatten.
Immer
wieder drehten sich Josefinas Zweifel um die Auferstehung, dem zentralen Punkt
des Christentums. Falkenstein hatte jedoch als Beweis für die Glaubwürdigkeit
der Schilderungen darauf hingewiesen, dass der Leichnam verschwunden gewesen
und Jesus in den folgenden 40 Tagen bis zur Himmelfahrt mehreren Personen
erschienen sei. Dass es sich um keine »Geister-Erscheinung« gehandelt habe,
sondern um eine Person aus Fleisch und Blut, werde zumindest in einem Fall
deutlich, in dem Jesus den Jünger Thomas aufgefordert habe, seine
Kreuzigungswunden zu fühlen.
Josefina
sah in das flackernde Lampenlicht und musste an die langen Darstellungen
Falkensteins im vergangenen Herbst denken. Beeindruckt hatte sie damals der
Theologe auch mit dem Hinweis, dass es viele Dokumente gebe, die keinen Eingang
in die Bibel gefunden hätten. Zuletzt seien noch 1945 in versiegelten
Tongefäßen, die man in Ägypten entdeckt habe, Schriftrollen aufgetaucht, die
Wissenschaftler in die Zeit kurz nach Jesu Leben datiert hatten. Daraus stamme
das sogenannte Thomasevangelium.
In
ihrer anerzogenen Gottesfürchtigkeit, so holte sich Josefina selbst wieder in
die Realität zurück, dürfte sie eigentlich keine zweifelnden Gedanken am
Glauben zulassen. Andererseits war natürlich auch das Neue Testament keine
Protokollierung der Geschehnisse, wie dies heutzutage schriftlich oder gar mit
elektronischen Medien möglich wäre.
Josefina
hörte auf ihre innere Stimme, die ihr zwar gewisse Zweifel zugestand, ihr aber
gleichzeitig sagte, dass es vor rund 2000 Jahren in Bethlehem und Umgebung
irgendetwas Außergewöhnliches gegeben haben musste, das die Menschen tief
beeindruckt hatte. Sie beschrieben mit den Worten ihrer damaligen
Vorstellungswelt, wofür sie keine Erklärung fanden.
Josefina war tief in mystische Gedanken versunken, als
ein ungewöhnliches Knacken den Raum erfüllte. Gleichzeitig tanzten die Schatten
wild, als habe sie ein kalter Luftzug erschreckt. Josefina hielt für einen
Moment den Atem an, wagte sich nicht zu bewegen und starrte auf die Bibelseite
vor ihr. War es das Knistern des Feuers gewesen, das sich gerade über feuchtes
Holz hermachte? Ein Luftzug im Kamin? Im Augenwinkel formten sich die Schatten
des Lampenlichts zu grau-schwarzen Ornamenten, zu Schleiern und Figuren.
Josefina überkam das finstere Gefühl, nicht mehr allein, sondern umgeben von etwas
zu sein, das nicht zu greifen war. War da nicht doch ein Luftzug? Noch immer
saß sie wie erstarrt und lauschte. Aber wenn es irgendein Geräusch gab, wurde
es von dem Knacken und Knistern im Ofen geschluckt.
Einbildung. Alles nur Einbildung, versuchte sie sich
einzureden. Doch das Gefühl, von etwas Körperlosem umgeben zu sein, wurde sie
damit nicht los. Langsam erhob sie ihren Blick zum Kruzifix. War er es, der ihr
in dieser Einsamkeit ein Zeichen senden wollte? Oder Engel? Vielleicht würde
sich aus den Schatten eine Gestalt formen. Josefina spürte einen kalten
Schauer, der ihr Gänsehaut über den Rücken jagte. Wen würde sie sehen? Den
Herrgott oder die Gottesmutter Maria, die nach Josefinas Überzeugung an
verschiedenen Orten erschienen war und die Menschen zur Umkehr mahnte. Auch
wenn sich die katholische Kirche oftmals mit solchen Erscheinungen schwer tat.
Josefina aber las stets die monatlichen Botschaften, die von Medjugorje
ausgingen, jenem Ort in Bosnien-Herzegowina, an dem angeblich Maria regelmäßig zu
den Menschen sprach, die sie als »Kinder« bezeichnete. Oder waren es gefallene
Engel, die sich jetzt, nach all dem Schrecklichen, was in den vergangenen Tagen
geschehen war, hier in der Hütte bemerkbar machten? Denn wo es das Gute gab,
das hatte Josefina schon oft gelesen, gab es auch das Böse. Den Satan. Hatten
sie sich mit ihren Gedanken und ihren gelegentlichen paranormalen Experimenten
zu weit ins Verbotene hinausgewagt? So weit, dass sie gar nicht mehr wussten,
wo die Grenze zwischen gut und böse verlief?
Josefina
sandte ein Stoßgebet zum Herrgott am Kruzifix und löste sich aus der inneren
Verkrampfung. Langsam drehte sie sich zur Seite – in
panischer Erwartung auf ein Zeichen aus dem Nichts. Ihre Augen trafen jetzt die
geschlossene Wohnraumtür. An deren rauem Holz tanzte aber nur ihr eigener
Schatten.
Josefina
erhob sich wie in Zeitlupe, um kein Geräusch zu verursachen. Sie nahm den Griff
der Petroleumlampe und ging langsam
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