Grauzone: Der 13. Fall für August Häberle (German Edition)
der Sitzbank, um die
halogene Leselampe am Hängeschrank zu löschen. Nachdem es im Innenraum
stockfinstere Nacht geworden war, zog er die Jalousie an seinem Platz einen
halben Zentimeter hoch, um hinausspähen zu können. Er kniff ein Auge zu und
sah, dass sich etwa 50 Meter entfernt zwei erwachsene Personen als dunkle
Silhouetten von der schwach beleuchteten Umgebung abhoben.
Häberle
drückte sein Gesicht ganz nah an den schmalen Sichtspalt. Die beiden Personen
kamen eng umschlungen zur Reihe der Caravans, die in der Gasse neben ihm
standen – dort, wo sich auch die Fischers und jene Frau mit dem
GP-Wohnmobil niedergelassen hatten. Häberle musste sich ganz weit in die Ecke
zwängen, um noch einen günstigen Sichtwinkel auf die nächtlichen Spaziergänger
zu haben. So wie es aussah, handelte es sich um einen Mann und eine Frau. Aber
so sehr er sich auch anstrengte, es gelang ihm nicht, die Gesichter zu
erkennen. Schließlich verschwanden sie aus seinem Blickwinkel.
Häberle
sprang auf, um die Jalousie des Heckfensters ebenfalls einen Spalt weit zu
öffnen. Doch so sehr er sich auch anstrengte – er
hatte die beiden Personen aus den Augen verloren. Allerdings war dieser Bereich
des Campingplatzes noch wesentlich schlechter ausgeleuchtet als der vordere.
Häberle rief sich die Lage der einzelnen Parzellen in Erinnerung und prägte
sich die Gehrichtung des Paares ein. Bei Helligkeit würde es ihm vielleicht
gelingen, ihr Ziel ausfindig zu machen.
Dann
zog er die Jalousien wieder zu und kletterte über die Holzleiter in den Alkoven
hinauf, nach dessen gemütlichem Bett er sich seit Stunden gesehnt hatte.
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Linkohr war, nachdem er die
E-Mail an Häberle geschickt hatte, so schnell wie möglich nach Schorndorf
gefahren. Nena begrüßte ihn wie immer mit einer herzlichen Umarmung und einem
zärtlichen Kuss und zog ihn in ihre kleine Einliegerwohnung. »Oh, mein liebes
Mikilein. Das war aber ein anstrengender Sonntag heute«, lächelte sie, während
Linkohr überlegte, ob sie es ernst meinte oder ob sie ihn veräppeln wollte. Sie
stolzierte in ihrer langen, hautengen schwarzen Lederhose vor ihm her in den
Wohnraum, wo sie zwei Sektgläser bereitgestellt hatte. »Du solltest erst mal
entspannen«, hauchte sie, setzte sich auf die Couch und zog Linkohr auf den Platz
neben sich.
Wenn
sie ihn mit ihren großen dunklen Augen ansah und dabei spitzbübisch eine
Augenbraue hochzog, dann begann sein Herz zu rasen. Zwar war es ihm
schwergefallen, nach der Vielzahl seiner verflossenen Freundinnen wieder
Vertrauen zu einer Frau zu fassen. Aber Nena war so ganz anders. Ihr ging es
nicht nur vordergründig darum, ihn mit weiblichen Reizen verrückt zu machen.
Sie wollte verstanden werden, Gehör finden und war bereit, Gleiches auch ihm zu
schenken.
Er
streichelte ihr zärtlich über ihre samtschwarzen Haare, die bis auf die
Schultern reichten, und erfreute sich an ihrer eng anliegenden Bluse, die alles
betonte, was ihn auch im verpackten Zustand atemlos machen konnte.
»Ich
hab uns eine Pizza reingeschoben«, sagte sie, befreite sich von seinem Arm, den
er um ihre Schulter gelegt hatte, und kam mit einer Flasche gekühlten Sekts
zurück, die Linkohr sanft öffnete. »Auf uns«, sagte sie, als das Getränk in den
Gläsern perlte. Sie stießen an und genossen den ersten Schluck.
Linkohr
spürte, wie nach dem stressigen Tag all seine Lebensgeister wieder erwachten.
»Ich
war mit Suzanne und Philipp heute Nachmittag Rad fahren«, sagte sie. »Es wäre
schön gewesen, wenn du auch hättest mitkommen können.«
Er
nickte. »Hab bitte Verständnis dafür, aber wenn ich schon mal den Chef
vertreten darf, kann ich nicht Nein sagen.«
»Das
war doch kein Vorwurf, Mike. Überhaupt nicht.« Sie strich über den schlanken
Oberschenkeln das Leder glatt.
Ihm gefiel es, wie sie sich kleidete, auch wenn sie
alles, was Männer gern sahen, meist dezent verpackte. Im Kreis ihrer Freunde,
das hatte Linkohr bereits erfahren, wurde sie deshalb ›Leder-Nena‹ genannt.
Noch aber war es ihm rätselhaft, ob sich dahinter auch andere Vorlieben
verbargen. Sie erzählte ihm, dass sie von Schorndorf nach Schwäbisch Gmünd
geradelt seien und dort ein Eis gegessen hätten. »Und du?«, fragte sie ihn
plötzlich. »Du jagst immer noch den Mörder einer attraktiven Witwe?«
»Ich hab sie noch nicht mal als Leiche gesehen«,
erwiderte er und nahm einen Schluck Sekt. »Dass doch immer die Falschen
umgebracht werden«, kommentierte sie seinen
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