Grauzone: Der 13. Fall für August Häberle (German Edition)
seine Augen wurden noch
wässriger. »In diesem unsinnigen Krieg.«
»Und in
dieser Zeit, 1944«, Linkohr unterbrach kurz, um Tee zu trinken, »in dieser Zeit
soll es in diesem Keller etwas gegeben haben, über das niemand so gern redet.«
Mareck
räusperte sich kräftig. »Was heißt ›niemand gern darüber redet‹? Herr
Kriminalrat, da sind Dinge passiert, auch in einer Kleinstadt, an die niemand
erinnert werden wollte. Auch noch in den 50er Jahren nicht, als unsere Kinder
in die Schule gekommen sind und es dort noch Lehrer gab, die ihre alten
autoritären Vorstellungen von Erziehung auslebten. Das war nur möglich, weil
wir – ihre Eltern – noch als Duckmäuser unter Adolf aufgewachsen waren. Wissen Sie,
Herr Kriminalrat, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Wir haben gelernt,
der Obrigkeit zu glauben und Befehle auszuführen. Das haben die, die nach uns
kamen, nicht mehr getan. Sie erinnern sich: 1968, da hat sich alles verändert.«
Linkohr
erinnerte sich natürlich nicht. Dazu war er viel zu jung. Aber er hatte viel
über diese Zeit gelesen und Dokumentarfilme gesehen.
»Und
was war das nun, über das niemand gesprochen hat?«, versuchte er vorsichtig,
wieder zum eigentlichen Thema zu kommen.
Mareck
trank noch mal Tee und legte die runzlige Stirn in noch tiefere Falten. »Jakob
Mollenkopf, der Sohn vom alten Mollenkopf, hatte damals trotz der Kriegszeit
einige Arbeiter. Fässerputzer, Flaschenabfüller, was weiß ich. Und eines Tages – es war
im Juni – das weiß ich noch genau, weil damals gerade die Alliierten in der
Normandie gelandet sind, am D-Day, das werden Sie noch aus den
Geschichtsbüchern wissen – kurz danach ist einer seiner Arbeiter spurlos verschwunden. Nun«,
er hustete kräftig, »das war in diesen Kriegszeiten nichts Außergewöhnliches.
Man hat sich ohnehin gewundert, dass er nicht zum Barras eingezogen wurde.«
Linkohr wusste, dass der alte Herr das Militär meinte. »Er war jedenfalls weg«,
sprach Mareck weiter, »meine Eltern haben sich gewundert. Alle haben sich
gewundert. Und auch sein Chef konnte angeblich nicht sagen, was mit ihm
geschehen war.«
»Und
bis heute weiß man das nicht?«, hakte Linkohr nach.
»Ich
hab nie mehr was davon gehört. Vielleicht gibt es ja Polizeiakten. Das müssten
Sie doch herauskriegen.« Es klang vorwurfsvoll.
»Und um
welche Gerüchte handelt es sich nun?« Linkohr wollte endlich auf den Kernpunkt
zu sprechen kommen, auch wenn man solchen Gesprächspartnern viel Zeit lassen
musste. Das hatte er in all den Jahren von Häberle gelernt.
»Wochen
später – vielleicht auch ein Vierteljahr später – waren
wir wieder bei einem Bombenalarm im Keller. Und da fiel uns auf, dass ganz
unten, vielleicht haben Sie’s ja schon gesehen, man kann es heute noch
erkennen, zwei oder drei Mauerstein-Reihen neu gesetzt oder verfugt worden
waren. Wir haben es nicht genau gesehen, wir hatten ja nur Kerzenlicht. Aber es
ist aufgefallen, und wir haben darüber gesprochen. Aber das war’s auch schon.«
»Der
Weinhändler wurde nicht darauf angesprochen?«
»Doch,
ich glaube, meine Eltern haben das getan. Auch er soll ziemlich überrascht
gewesen sein und hatte aber damals wohl nicht die alleinige Verfügungsgewalt
über seinen Keller.«
»Wie
darf ich das verstehen?«
»Die
Nazis«, er schnäuzte noch einmal, »haben damals vieles beschlagnahmt.« Wieder
neue Falten im Gesicht. »Gerüchteweise hat man gehört, der Wein sei nach
Berchtesgaden abtransportiert worden. Zum Obersalzberg.« Er wartete ein paar
Sekunden. »Während die Menschen an der Front das Kanonenfutter waren, haben
diese Herrschaften da oben ihren verrückten Führer bei Laune halten müssen.«
»Es
hatten also Fremde Zutritt zu dem Keller«, fasste Linkohr zusammen.
»Ja, so
sieht’s wohl aus. Es gibt ja nicht nur diesen Zugang hier von den
Geschäftsräumen aus, sondern auch drunten am Hang, seitlich, wie das bei
solchen Kellern, die in den Hang hineingebaut sind, damals üblich war.«
»Und
was hat man dann vermutet, was da unten geschehen ist?«
»Herr
Kriminalrat«, der Mann holte tief Luft, als falle es ihm schwer, darüber zu
reden, »Sie müssen sich in diese Zeit hineindenken. Man hat hier überall
Stollen in die Berge reingetrieben, um für die Rüstung produzieren zu können.
Alles, was unter Tage war, wurde genutzt, um in irgendeiner Weise Hitlers Wahn
unterstützen zu können. Sie werden wissen, er hat immer von einer Wunderwaffe
gesprochen. Weiß der Teufel, was
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