Grauzone: Der 13. Fall für August Häberle (German Edition)
Vorherbestimmungen
und Zeichen aus einer anderen Dimension geglaubt?«
»Ja, vermutlich ging es sogar so weit, dass sie in dem,
was ihre Schwägerin – also die Schwester ihres Mannes – in der Folgezeit herausgefunden hat, das Bedürfnis einer
unruhigen Seele gesehen hat, die auf Gerechtigkeit aus ist. Obwohl es nicht die
Seele ihres Mannes war, die Grund gehabt hätte, keine Ruhe zu finden, sondern
die seines Vaters.« Linkohr war froh, dass das Gespräch jetzt in eine andere
Richtung ging. »Darüber zu spekulieren, ist müßig«, fuhr er fort. »Auch, was
das Motiv für diesen Mord in der Vergangenheit gewesen sein könnte. Und dies
alles wird nach so langer Zeit auch keinen einzigen Richter dieser Welt
interessieren. Weißt du, Nena, wenn man Schicksale zurückverfolgt, wenn man
fragt, warum was wie geschehen ist, dann wirst du immer auf irgendwelche
Merkwürdigkeiten stoßen.«
»Ja,
Mike, die Welt ist voll von solchen Dingen. Und was ihr macht, ist doch nur,
Symptome festzustellen, genau wie die Schulmediziner heutzutage – die
reflexartig die Krankheitssymptome mit Chemie glauben bekämpfen zu können, ohne
die wahren Ursachen, die komplizierten Zusammenhänge von Körper und Seele zu
berücksichtigen.«
Linkohr
wollte nichts dazu sagen. Nicht jetzt, nicht in dieser Nacht – und
nicht angesichts dessen, was sich womöglich in Geislingen anbahnte.
»Hast
du eigentlich schon mal ein übersinnliches Erlebnis gehabt?«, fragte Nena
plötzlich.
»Ich?«
Er hatte damit nicht gerechnet und war jetzt auch nicht in der Stimmung, darüber
zu reden.
»Also
doch«, stocherte Nena weiter. »Wenn du zögerst, dann gibt es da etwas. Scheust
du dich, darüber zu reden? Meinst du, ich halte dich dann für verrückt?«
Es ging noch ein bisschen hin und her, bis er sich
endlich durchrang, etwas zu sagen, was er bisher nur selten jemandem erzählt
hatte. »Na ja, es ist schon geraume Zeit her. Ich war zwölf Jahre alt, als
meine Großmutter im Sterben lag. In einem Aussiedlerhof auf der Alb.« Er
schloss wieder auf das Wohnmobil Häberles auf und versuchte, sich auf das zu
konzentrieren, was er schildern wollte. »So ein Aussiedlerhof aus den 60er
Jahren, verstehst du? Alles ebenerdig, die Zimmer aneinandergereiht an einem
langen Flur, wie in einem Hotel. Im vorderen Bereich hat die junge Familie
gewohnt, im hinteren die Großeltern. Alles verbunden mit diesem Flur mit
Steinboden.«
Nena lauschte aufmerksam und wollte ihn nicht durch eine
Zwischenfrage unterbrechen.
»Es war ein Sonntagnachmittag, die Verwandtschaft im
vorderen Bereich, bei den sogenannten Jungen im Esszimmer versammelt; das waren
mein Onkel, meine Tante und deren beider Kinder, also mein Cousin und meine
Cousine. Dazu der Opa und meine Eltern, denn die kranke Oma war die Mutter
meiner Mutter.« Linkohr machte eine kurze Pause. »Es schien so, als ob die Oma
nicht mehr lang leben würde. Wir sitzen also dort. Und außerdem muss man
wissen, dass sich draußen vor diesem Esszimmer der Zwinger eines wilden, extrem
scharfen Schäferhundes über die ganze Giebelseite entlangzog. Der Hund hat,
wann immer wir gekommen sind, wie wild gebellt, obwohl er uns längst hätte
kennen müssen. Es konnte sich also weder ein Familienmitglied noch irgendein
Fremder dem Haus nähern, ohne dass sich der eingesperrte Hund nicht wie
verrückt gebärdet hätte. Ja, und so sitzen wir also da, als wir plötzlich alle
hören, wie hier im vorderen Bereich des Flures die unverschlossene Haustür
deutlich vernehmbar geöffnet und wieder geschlossen wird. In dem Flur hat das
richtig gehallt – aber der Hund draußen hat keinen Ton von
sich gegeben. Trotzdem waren wir alle davon überzeugt, dass jemand gekommen
war. Alle hörten wir Schritte – und
darüber haben wir später immer wieder geredet. Es waren Schritte, feste
Schritte, wie von einer Ledersohle, deutlich hörbar auf dem Steinboden. Sie
näherten sich, von der Haustür kommend, dem Esszimmer, schwenkten dann aber in
den langen Flur ab, wo sie sich zum Wohnbereich der Großeltern entfernten. Das
ging alles ziemlich schnell. Mein Onkel und meine Tante, auch der Opa, waren
der Meinung, da müsse jemand gekommen sein. Man sah sich um und sah sich an – doch es waren alle da, die an diesem Sonntagnachmittag
beisammen sein wollten. Eigentlich war es durchaus üblich, dass damals auf dem
Land jemand zu Besuch kam, ohne zu klingeln – weil man wusste, dass man die Tür nicht verschloss.
Ungewöhnlich war aber, dass jemand
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